10.11.2020

Theologen Körtner und Tück für offene Debatte über „politischen Islam“

„Opfernarrativ“ führe zu „Selbstimmunisierung gegen Kritik“

„Gemeinsame Lösungen sind nicht einfach. Sie werden sich nur auf dem Weg der sachlichen und interdisziplinären Ursachenforschung finden lassen“, so die beiden Wiener Theologen. Foto: pixabay

„Opfernarrativ“ führe zu „Selbstimmunisierung gegen Kritik“

Wien/Zürich (epdÖ) – In einem Gastbeitrag für die Neue Zürcher Zeitung (Freitag, 6. November) haben der Wiener evangelische Theologe Ulrich Körtner und sein römisch-katholischer Kollege Jan-Heiner Tück zu einem offenen Diskurs über den „politischen Islam“ jenseits von Kampfbegriffen, aber auch „Opfernarrativen“ aufgerufen. Nach dem Attentat von Wien seien die vonseiten der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) ergangenen „Aufrufe zum gesellschaftlichen Schulterschluss und zum Dialog zweifellos wichtig und richtig“ ebenso wie die eindrücklichen Trauerbekundungen und gemeinsamen Botschaften der Religionsgemeinschaften gegen Hass und Gewalt. Dennoch brauche es jetzt einen offenen Diskurs, bei dem auch die Gefahren von politischer Religion angesprochen werden. Kritisch äußern sich die beiden Wiener Theologen zu einer Aussage in einer offiziellen Stellungnahme der IGGÖ, wonach es Extremisten unter den Muslimen gebe, so wie es Extremisten in allen Teilen der Gesellschaft gibt.

„Ein solcher Satz hat eine stark entschuldigende Note und lenkt vom Problem ab, anstatt es zu markieren.“ Es gebe im pluralen Spektrum des Islams Anhänger, die ihren Glauben so interpretieren, dass sie Gewalt gegen Andersgläubige für legitim halten. Demgegenüber zu beteuern, das habe nichts mit dem Islam zu tun, sei wenig hilfreich, befinden Körtner und Tück.

Nötig sei jetzt vielmehr ein „redlicher, von wechselseitigem Vertrauen wie von wechselseitiger Bereitschaft zur Selbstkritik getragener Diskurs über Erscheinungsformen, Ambivalenzen und Gefahren von politischer Religion im Allgemeinen wie einem politischen Islam im Besonderen“. Zugleich gelte es, nicht den rechten Kampfbegriff vom „politischen Islam“ zu reproduzieren. Auch „Opfernarrative“ vonseiten der Muslime seien nicht angemessen. Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung seien real, beklagenswert und zu bekämpfen, führten aber eher zur „Selbstimmunisierung“ gegen Kritik. Christliche Vertreter, die die Rede vom politischen Islam gänzlich ablehnten, würden sich mit fundamentalistischen Kräften solidarisieren anstatt mit liberalen Vertreterinnen und Vertretern, die auch vor Kritik nicht zurückscheuten. „Gemeinsame Lösungen sind nicht einfach. Sie werden sich nur auf dem Weg der sachlichen und interdisziplinären Ursachenforschung finden lassen“, sind die beiden Wiener Theologieprofessoren überzeugt.

ISSN 2222-2464

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Schlagworte

Theologie | Politik | Tück | Islam | Terror | Körtner | Wien

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