28.06.2017

„Weil man sich als Mensch begegnet“

NÖ: Interreligiöser Dialog im Mittelpunkt des dritten Kamingesprächs

Paul M. Zulehner, Amani Abuzahra und Susanne Heine (v.r.) sprachen auf der Schallaburg über das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Religionen. Durch den Abend führte Maria Katharina Moser (l., Foto: epdÖ/T.Dasek)

NÖ: Interreligiöser Dialog im Mittelpunkt des dritten Kamingesprächs

Melk (epdÖ) – Wie gestaltet sich ein gutes Zusammenleben der Religionen? Susanne Heine, emeritierte Professorin für Praktische Theologie und Expertin für den Dialog zwischen Christentum und Islam, brachte gleich zu Beginn des dritten Kamingesprächs, zu dem die Evangelische Kirche Niederösterreich anlässlich des Reformationsjubiläums am Freitag, 23. Juni, auf die Schallaburg geladen hatte, ein praktisches Beispiel: Die evangelische Pfarrgemeinde Leibnitz hat vor zwei Jahren 50 Flüchtlinge aufgenommen, inzwischen wurde das Projekt der kleinen Pfarrgemeinde auch ausgezeichnet. „Zunächst geht es um Hilfsbereitschaft, um Solidarität“, erzählte Heine. Und diese humane Position liege allen Religionen zugrunde. An vielen Stellen im gesellschaftlichen Leben kämen in Leibnitz Einheimische mit Flüchtlingen zusammen. Hier werde deutlich, dass „alle Kirchen die große Chance hätten, ihre Räume als Plattformen der Solidarität zur Verfügung zu stellen“, so Heine.

Zunächst gehe es um Sicherheit, erklärte die muslimische Philosophin und Lehrende an der KPH Wien/Krems, Amani Abuzahra. Die Suche nach einem Leben in Frieden sei der „große Motor der Flüchtlingsbewegung“. Durch das Zusammenleben würden religiöse Fragen oft in den Hintergrund treten, „weil man sich zuerst als Mensch begegnet“. Je nach Migrationserfahrung könne das Bedürfnis nach Spiritualität unterschiedlich ausgeprägt sein, doch „bei der Suche nach Sinn treffen wir uns alle wieder, egal aus welcher religiösen Ecke wir kommen“, ist Abuzahra überzeugt.

„Die Grundmelodie aller Religionen ist Erbarmen“, sagt Paul M. Zulehner. Hier, so der emeritierte Professor für Praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien, wäre eine „grundsätzliche Einigung“ möglich. Erschwert werde dies jedoch durch eine Entwicklung, die sich in Zulehners Studien zeigte: Offene, liberalere Menschen würden eher ihre Mitgliedschaft zur Kirche aufkündigen, zurück blieben „eher Menschen, die für Abgrenzung stehen“. Sowohl im Islam wie im Christentum ortet Zulehner einen „harten kleinen Kern“, der am Dialog nur verhaltenes Interesse zeige.
Im Alltag sei jedenfalls mehr möglich, bekräftigte Susanne Heine. Nachbarschaftskontakte und Feste bieten Möglichkeiten für gegenseitige Einladungen zum besseren Kennenlernen, ein „Tag der offenen Moschee“ ließe sich etwa auch in Österreich installieren. Wichtig sei dabei, einander mit Neugierde und Respekt zu begegnen, meinte Amani Abuzahra. Im Einlassen auf den Anderen lerne man viel voneinander. Eine große Herausforderung bleibe dabei die Tatsache, dass in Europa Österreich jenes Land mit den größten Ressentiments gegenüber Muslimen sei. Gefährliches Halbwissen vermische sich mit Vorurteilen und Klischees, während Visionen des Zusammenlebens fehlten, stattdessen bestimmten permanent negative Themen wir Burkini, Kopftuch oder Kindergärten die Debatte.

Dass es auch unter Christen gefährliches Halbwissen gebe, ergänzte Susanne Heine. Im interreligiösen Gespräch komme es darauf an, „einander nicht zu belehren, sondern zu fragen und zuzuhören“. Infolge der starken Säkularisierung sei Religion in Europa in Misskredit geraten, es herrsche ein religiöser Analphabetismus, während religiöse Bildung geradezu essentiell sei, „um die eigene Welt zu verstehen“.
„Bei dieser medialen und politischen Antiislamisierung kann sich der Islam nicht europäisieren“, befand Paul Zulehner. Zudem spielten Ängste eine wichtige Rolle: Je mehr ein Mensch von Angst geprägt sei, umso mehr sei ihm der „Feind Islam“ willkommen, um die Angst festzumachen: „Jede Kultur, die angstgetränkt ist, braucht irgendein Feindbild.“ Angst treibe Menschen in die rechtspopulistische Ecke, „aber nur Gesichter und Geschichten heilen uns von Ängsten“, sagte Zulehner. Der Dialog mit dem Islam werde in Europa erst eine Chance haben, wenn der Krieg in Syrien zu Ende sei und der IS keine Chance mehr habe, Europa mit Terror zu überziehen.

Mehrfach forderte Amani Abuzahra bei der Diskussion einen differenzierten Umgang mit dem Islam ein. „Wir müssen lernen, zwischen den unterschiedlichen Strömungen des Islam zu differenzieren, müssen genauer hinhören und zuhören.“ Der Islam brauche die Chance, in seiner Vielfalt wahrgenommen zu werden. Hier helfe ein Blick in die Geschichte, um Gemeinsamkeiten zu erkennen und eine „gemeinsame Quelle der europäischen Identität“ zu öffnen, in der Muslime „selbstverständlich integriert“ seien. Letztlich gehe es um das gemeinsame Handeln, schloss Heine. Dialog funktioniere nur über Personen, „ich lerne nur aus der direkten Begegnung“.

Das vierte und abschließende Kamingespräch findet am 13. Oktober im Stift Zwettl statt. Zum Thema „Frauen machen Kirche“ sprechen Oberkirchenrätin Ingrid Bachler, Provinzoberin Brigitte Thalhammer und Altabt Christian Haidinger.

ISSN 2222-2464

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