17.05.2021

Mauthausen-Gedenken: Warnung vor Antisemitismus

Ökumenischer Gottesdienst in KZ-Gedenkstätte – Scheuer: „Verurteilen Angriffe auf Synagogen“ – Lehner: „Wir müssen hinschauen“

"Wir sind nicht Gott. Wir sind nicht diejenigen, die sich die Welt und die Menschen nach ihrem Bilde formen dürfen. Denn dann vergewaltigen wir die Menschen und die Welt." - Superintendent Gerold Lehner beim ökumenischen Gedenkgottesdienst mit Erzpriester Lapin (li.) und Bischof Scheuer (re.) in Mauthausen. Foto: screenshot/orf/epd

Ökumenischer Gottesdienst in KZ-Gedenkstätte – Scheuer: „Verurteilen Angriffe auf Synagogen“ – Lehner: „Wir müssen hinschauen“

Linz (epdÖ) – Ein ökumenischer Gottesdienst bildete am Sonntagvormittag im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen den Auftakt für die diesjährigen Gedenk- und Befreiungsfeier. Den Gottesdienst in der Kapelle der KZ-Gedenkstätte gestalteten der römisch-katholische Linzer Diözesanbischof Manfred Scheuer, der evangelische Superintendent Gerold Lehner und der orthodoxe Erzpriester Alexander Lapin. Zu Beginn des Gottesdienstes verurteilte Bischof Scheuer die Angriffe auf Synagogen in den vergangenen Tagen. „Wir beklagen und verurteilen alle Vorfälle des Antisemitismus in den vergangenen Wochen und Monaten, besonders auch jene, durch die das Leid der Opfer von Mauthausen verhöhnt und das Gedenken bei der Befreiungsfeier entwürdigt wurde“, sagte der Bischof und fügte hinzu: „Wir beklagen die Gewalt und die Toten im Heiligen Land und beten um Frieden in Israel.“

Der Gottesdienst stand – wie die gesamte Befreiungsfeier – unter dem Motto „Vernichtete Vielfalt“. Die Nationalsozialisten hätten Millionen Menschen das Lebensrecht abgesprochen und Vielfalt verachtet, Fremde und Andersdenkende nur unter den Aspekten von Angleichung oder Unterwerfung geduldet, erinnerte Scheuer. Das Leben liege aber nicht in der Verfügbarkeit des Menschen, so der Bischof: „Es ist nicht unsere Großzügigkeit und unser Wohlwollen, durch die das Leben in seiner Unantastbarkeit begründet und gestiftet wird. Nicht durch uns wird Leben heilig, sondern durch Gott, der es schenkt.“

Hass, Gewalt, Verachtung und Gleichgültigkeit gegenüber den Mitmenschen oder ganzen Völkern prangerte der orthodoxe Erzpriester Lapin an. Nur allzu oft meine der Mensch, er sei selbst Gott, sagte Lapin, und rief zur Besinnung und Umkehr auf.

„Wir sind nicht Gott. Wir sind nicht diejenigen, die sich die Welt und die Menschen nach ihrem Bilde formen dürfen. Denn dann vergewaltigen wir die Menschen und die Welt“, betonte auch der evangelische Superintendent Gerold Lehner. In seiner Predigt ging der Superintendent auf den Soziologen Hartmut Rosa ein, der u.a. die These vertritt, „dass für spätmoderne Subjekte die Welt schlechterdings zum Aggressionspunkt geworden ist. Alles, was erscheint, muss gewusst, beherrscht, erobert, nutzbar gemacht werden.“ Doch woher komme dieser Drang und diese Aggression, „die sich gegen alles richtet, keine Grenzen akzeptiert und jedes Tabu bricht?“, fragte Lehner: „Wir stehen an einem Ort, wo sich diese Aggression in ihrer ganzen Grausamkeit konzentriert, und sich ungeschminkt gezeigt hat. Wir sprechen von einer entsetzlichen Einzigartigkeit, die nicht relativiert werden darf, und wir tun recht daran.“

Diese Einzigartigkeit bringe aber auch eine Gefahr mit sich, warnte der Superintendent, „denn wir schließen dieses Grauen in eine vergangene Geschichte ein und meinen, dass wir uns dieses Grauen mit seiner Isolierung und Singularisierung auch vom Hals halten können. Dass wir uns zu ihm distanziert verhalten können als zu etwas Vergangenem und nicht Wiederholbarem.“

Lehner verwies auf die Worte Jesus an seine Jünger: „Wenn aber jener Geist der Wahrheit kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten.“ Die christliche Wahrheit lehre, „die Menschen und die Welt zu sehen als ein Wunder, das wir nicht gemacht haben“. Und Lehner fuhr fort: „Wir werden den Ungeist nicht bannen, wenn wir nicht bereit sind, dem Geist der Wahrheit zu lauschen. Der Lüge und dem Bösen kann man nicht widerstehen ohne die Wahrheit. Ja, wir müssen uns dem Grauen stellen. Ja, wir müssen hinschauen, auch wenn es uns schier die Luft abschnürt und uns das Böse zu erdrücken droht.“

„Unsägliche Befreiung“

Die Befreiung des Konzentrationslagers sei eine „unsägliche Befreiung“ gewesen, so der Superintendent weiter: „Wir wissen, dass die Geschichte vieler dieser gefangenen und gequälten Menschen nicht einfach in die Freiheit führte. Denn sie kamen in ein Land und sie kamen unter Menschen, die selbst nicht frei waren. Die verstrickt waren in das Geschehene. Die deshalb nicht frei waren, diese Menschen aus den Konzentrationslagern anzusehen, ihnen in die Augen zu schauen. Die wegschauen mussten, weil sie die Wahrheit über sich selbst nicht zu ertragen vermochten.“
Dem Grauen standzuhalten sei das eine. Aber es brauche den Geist der Wahrheit, um das Grauen zu überwinden und um Heilung zu erfahren. „Wir werden den Ungeist nicht bannen, wenn wir nicht bereit sind, uns dem Geist der Wahrheit zuzuwenden“, so Lehner.

Der ökumenische Wortgottesdienst in der KZ-Gedenkstätte konnte auch heuer aufgrund der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie nicht vor Ort mitgefeiert werden. Er wurde von ORF III und via Livestream (www.mkoe.at ) übertragen. Die musikalische Gestaltung übernahm ein Quartett des Chores der Pfarre Mauthausen unter Leitung von Alfred Hochedlinger.

 

ISSN 2222-2464

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