27.12.2021

Körtner: Befürworter der Sterbehilfe „werden sich mit Erreichtem nicht zufriedengeben“

Ethiker im SAAT-Interview zu assistiertem Suizid und Impfpflicht

“Suizidwünsche sollen nicht tabuisiert werden, aber wir müssen schauen, wie wir Menschen neuen Lebensmut vermitteln können.” Foto: pxhere

Ethiker im SAAT-Interview zu assistiertem Suizid und Impfpflicht

Wien (epdÖ) – Seit 1. Jänner gibt es in Österreich die gesetzliche Möglichkeit zum assistierten Suizid. Schon jetzt warnt der Wiener evangelische Theologe und Ethiker Ulrich Körtner davor, dass die Sterbehilfediskussion damit hierzulande nicht beendet ist. Im Interview mit der evangelischen Zeitung SAAT (01/2022) sagt Körtner: „Indem Regeln aufgestellt werden, kommt es zwangsläufig zu einer Normalisierung des assistierten Suizids. Diese Entwicklung erfüllt mich mit einer gewissen Sorge. Denn die, die beim Verfassungserichtshof Beschwerde gegen das Verbot der Sterbehilfe geführt haben, werden sich mit dem Erreichten nicht zufriedengeben.“

Dass auch Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht völlig von der Möglichkeit des assistierten Suizids ausgeschlossen sind bezeichnet Körtner als „Gratwanderung“: „Ich bin zwar kein Freund der Entwicklung, die mit dem Sterbeverfügungsgesetz stattfindet, aber ich muss anerkennen, dass der Gesetzgeber versucht, Grenzen zu ziehen – in einer Weise, dass das Gesetz nicht gleich wieder zu Fall gebracht wird, weil es hinter den Mindestanforderungen des VfGH zurückbleibt“ – etwa, indem mit einer Ungleichbehandlung psychisch Erkrankter argumentiert würde. Wichtig sei es, dass es jetzt gesetzliche Regelungen gebe – denn sonst wäre nach dem VfGH-Urteil vom Dezember 2020 jede Form des assistierten Suizids straffrei gewesen.

Für den Umgang mit Sterbewünschen sieht Körtner einen wichtigen Impuls in biblischen Erzählungen von Menschen, die einen Todeswunsch ausdrücken, denen aber neuer Lebensmut geschenkt werde – etwa der Prophet Elija. „Suizidwünsche sollen nicht tabuisiert werden, aber wir müssen schauen, wie wir Menschen neuen Lebensmut vermitteln können.“

Radikalisierte Impfgegner „werden Widerstand leisten“

In der Debatte um die Impfpflicht gesteht Körtner, selbst einen Meinungswandel durchlaufen zu haben. Mittlerweile sehe er die Impfpflicht zwar nicht als alleiniges Mittel, aber als „entscheidenden Schlüssel“ um aus der Pandemie herauszukommen. Und er vermutet: „Wir werden wahrscheinlich dauerhaft Impfungen gegen Covid-19 brauchen.“

Mit Sorge betrachtet Körtner die zunehmende Spaltung in der Gesellschaft. Einst gemäßigte Impfskeptiker begännen, sich zu radikalisieren: „Wenn gemäßigte Bürgerinnen und Bürger jetzt anfangen, von einer Diktatur zu sprechen und das wirklich glauben, dann werden sie Widerstand leisten, bis hin zu gewalttätigem Widerstand.“ Die Demokratie sieht Körtner zwar nicht gefährdet, dennoch komme es jetzt darauf an, wie Politikerinnen und Politiker jetzt weiter agieren: Sie hätten viel Vertrauen verspielt: „Die Regierung hat ihrerseits dazu beigetragen, die Lage zu verschärfen, indem sie lange vermeiden wollte, radikale Gruppen zu provozieren und daher die Impfpflicht zunächst ausgeschlossen hat. In den Augen der Kritiker stehen sie jetzt als Verräter da.“

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ISSN 2222-2464

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