23.09.2020

Sterbehilfe-Verbot beibehalten, aber in Härtefällen Barmherzigkeit zeigen

Chalupka: Gewissenskonflikte sind ernst zu nehmen – Moser: Brauchen flächendeckende Hospiz- und Palliativversorgung

Eine differenzierte Debatte und Rücksicht auf moralische Konflikte - das braucht es beim Thema Sterbehilfe. Foto: pxhere

Chalupka: Gewissenskonflikte sind ernst zu nehmen – Moser: Brauchen flächendeckende Hospiz- und Palliativversorgung

Wien (epdÖ) – Für die Beibehaltung des Verbots der aktiven Sterbehilfe, aber auch für eine Differenzierung in der Debatte und die Rücksichtnahme auf moralische Konflikte sprechen sich die Evangelische Kirche in Österreich und die Diakonie Österreich aus. Vor der öffentlichen Verhandlung des Verfassungsgerichtshofs am Donnerstag, 24. September, zu diesem Thema, sagte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka gegenüber dem Evangelischen Pressedienst: „Es darf nicht ‚normal‘ werden, sich den Tod mithilfe eines anderen oder gar durch einen anderen geben zu lassen.“ Auch Beihilfe zum Suizid solle nicht zum gesellschaftlichen Normalfall werden, etwa indem Vereine Suizidhilfe anböten. Jedoch seien Gewissenskonflikte ernst zu nehmen, in denen sich sowohl Angehörige, Ärztinnen und Ärzte, aber auch Sterbewillige befänden.

„Angesichts dieser moralischen Tragik braucht es eine offene Diskussion über rechtliche Regelungen, die dem Gewissen Spielraum lassen und für dramatische Ausnahmefälle Möglichkeiten der Straffreiheit vorsehen“, so Chalupka in Übereinstimmung mit einer Stellungnahme der Generalsynode aus dem Jahr 1996 sowie einer Orientierungshilfe der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa aus dem Jahr 2011. Zwar könne Beihilfe zum Suizid nach evangelischer Überzeugung kein Rechtsanspruch sein, der sich an den Staat oder gar an Dritte richtet; jedoch gebe es existentielle Konfliktfälle, in denen Barmherzigkeit bei aufrechtem Verbot der Beihilfe zum Suizid gefragt sei. „Deshalb soll nach juristischen Wegen gesucht werden, wie in einzelnen extremen Fällen der Barmherzigkeit Genüge getan werden kann.“

Bessere Rahmenbedingungen angekündigt, aber ausständig

„Gerade, weil die Selbstbestimmung von Menschen am Ende ihres Lebens ernst genommen werden soll, müssen die Bedingungen so sein, dass Menschen existenzielle Herausforderung des Sterbens gut bewältigen können“, fordert Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Gesellschaft und Staat stünden in der Verantwortung, durch gute flächendeckende Palliativversorgung und Suizidprävention Bedingungen zu schaffen, die Menschen „wirkliche Optionen eröffnen und sie nicht in Sterbewünsche drängen“.

Moser kritisiert in diesem Zusammenhang das Ausbleibens des Vollausbaus der Hospiz- und Palliativversorgung, der 2015 von einer parlamentarischen Enquete-Kommission angekündigt worden war, aber ebenso wie die Überführung der Hospiz- und Palliativeinrichtungen in die Regelfinanzierung immer noch ausständig ist. Im Ruf nach selbstbestimmten Sterben klinge neben der Angst vor unerträglichem Leid oft auch die Angst vor Pflegebedarf und Abhängigkeit mit, so Moser weiter. Die Diakonie-Direktorin sieht hier auch eine Verbindungslinie zur aktuellen Pflegereform: „Wenn in der Debatte darüber der Pflegenotstand ausgerufen wird, Pflege in erster Linie als Kostenfaktor thematisiert wird und mehr von der extremen Belastung der Pflegekräfte die Rede ist als von der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit, verstärkt dies die Angst vor Pflegebedürftigkeit.“ Echte Selbstbestimmung brauche „nicht nur den Freiheitsraum, sterben zu dürfen, sondern auch den Freiheitsraum, leben zu können“. Dieser Freiheitsraum werde erst durch entsprechende Rahmenbedingungen in Pflege, Hospiz und Palliativversorgung eröffnet.

ISSN 2222-2464

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