03.05.2021

„Schon beim Beten ertappt zu werden, kostete vielen Häftlingen das Leben“

Altbischof Michael Bünker über evangelische Pfarrer im KZ Mauthausen

Das Einfahrtsgebäude zum KZ Mauthausen. Foto: wikimedia/dnalor01/cc by sa 3.0

Altbischof Michael Bünker über evangelische Pfarrer im KZ Mauthausen

Auch Pfarrer waren unter denen, die von den Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Im ehemaligen KZ Mauthausen in Oberösterreich waren während der Nazi-Herrschaft etwa 30 evangelische Pfarrer inhaftiert. Nun untersucht die Evangelische Kirche dieses grauenhafte Kapitel der Geschichte, federführend dabei ist Altbischof Michael Bünker. In seinem Beitrag schreibt er über die Schicksale einiger Pfarrer in Mauthausen, berichtet über den Forschungsstand und zieht Schlüsse für die Gegenwart. (Dieser Beitrag ist ursprünglich in der evangelischen Zeitung SAAT erschienen, die Sie hier um 30 Euro im Jahr abonnieren können).

„Ich entziehe ihnen das Wort!“ Mit diesem Ruf unterbrach ein Gestapo-Beamter die Predigt eines unter Verdacht stehenden Pfarrers. Doch der Pfarrer ließ sich nicht beirren und predigte weiter. Einige Tage später wurde er wegen „Wehrkraftzersetzung“ verhaftet und ins KZ Mauthausen gebracht. Wenige Wochen später wurde er dort ermordet. Die Predigt wurde am 15. Oktober 1944 in der Reformierten Stadtkirche in Wien gehalten. Der Pfarrer war der aus Ungarn stammende Zsigmond Varga. Er gehört zu den rund 30 evangelischen Pfarrern, die im KZ Mauthausen inhaftiert waren. Viele von ihnen wurden wie er dort ermordet.

Die durch Terror und Gewalt gekennzeichnete Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten wurde im System der „Konzentrationslager“ besonders sichtbar. Die ersten wurden bereits 1933 errichtet. Während des Krieges überzog ein Netz von mehr als tausend solcher Lager große Teile Europas. Mit dem Bau des KZ Mauthausen wurde bereits wenige Wochen nach dem so genannten Anschluss im März 1938 begonnen. Ab Dezember 1939 wurde im nahegelegenen Gusen ein zweites KZ als Nebenlager von Mauthausen gebaut. Die Wahl dieser beiden Standorte war durch die dort bestehenden Steinbrüche bestimmt. In den Steinbrüchen wurden die Häftlinge durch unmenschliche Arbeitsbedingungen zu Tode geschunden.

„Sie kamen aus Polen, Frankreich, Italien, Ungarn, den Niederlanden und der Slowakei“

„Evangelische Pfarrer im KZ Mauthausen“ – so lautet der Arbeitstitel eines aktuellen Projekts der Evangelischen Kirche in Österreich. Dabei geht es darum, erstmals möglichst alle Pfarrer zu erfassen und ihre Schicksale zu dokumentieren, die im KZ Mauthausen oder einem seiner Nebenlager inhaftiert waren. Einzelne dieser Pfarrer sind wohl schon seit langem bekannt, wie der eingangs erwähnte Zsigmond Varga oder Jacopo Lombardini aus Italien und Andrej Wantuła aus Polen, aber eine Gesamtübersicht hat bisher gefehlt.

Für ein solches Projekt braucht es historisches Fachwissen, um die zahlreichen Datenbanken, in denen Häftlingslisten und andere Verzeichnisse gespeichert sind, zu durchforsten. Hierzu und zu vielen anderen Aufgaben hat Dr. Dietlind Pichler, die als Expertin das Projekt begleitet, wichtige Arbeiten geleistet. Es brauchte aber auch die Rückfrage bei den verschiedenen Evangelischen Kirchen in den europäischen Ländern, in denen die Erinnerung an die betroffenen Pfarrer lebendig ist. Dafür waren die guten Beziehungen der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) besonders hilfreich. Aus den Rückmeldungen konnte eine möglichst umfassende Liste zusammengestellt werden. Es zeigt sich, dass etwa 30 Pfarrer aus Evangelischen Kirchen in Mauthausen oder einem seiner Nebenlager inhaftiert waren. Sie kamen aus Polen, Frankreich, Italien, Ungarn, den Niederlanden und der Slowakei. Pfarrer aus anderen Ländern und vor allem die große Zahl aus deutschen Landeskirchen waren in anderen KZs wie Dachau, Buchenwald oder Sachsenhausen.

Die Gründe ihrer Verhaftung waren unterschiedlich. Manche waren im aktiven Widerstand gegen das NS-Regime oder haben sich für Jüdinnen und Juden eingesetzt, andere – wie die Polen – wurden zu Opfern der deutschen Vernichtungspolitik. Aber für die Betroffenen selbst war es immer ihr christlicher Glaube und ihre Berufung als Geistliche, die ihre Taten geprägt haben und letztlich dazu führten, dass sie verfolgt wurden. Selbst im Lager haben einige noch unter permanentem Hunger und ständiger Todesgefahr als Pfarrer gewirkt und illegale Gottesdienste gehalten, obwohl sie das gerade in Mauthausen, einem der unmenschlichsten der KZs, in größte Gefahr brachte. Schon beim Beten ertappt zu werden, kostete viele Häftlinge das Leben.

Neu angekommene Häftlinge in Mauthausen im Jahr 1943 oder 1944. Foto: wikimedia/United States Holocaust Memorial Museum.

Mit den evangelischen Pfarrern war eine große Zahl von Priestern der Römisch-katholischen Kirche und der Orthodoxie inhaftiert, dazu als eigene Häftlingsgruppe, die mit dem violetten Winkel gekennzeichnet war, hunderte Zeugen Jehovas. Aus dem KZ Dachau ist bekannt, dass dort eine besondere Ökumene entstanden ist und in beeindruckender Weise gelebt wurde. In Mauthausen war das wegen der schrecklichen Lagerbedingungen kaum, höchstens in Einzelfällen, möglich.

KZ Mauthausen:
errichtet ab März 1938, erste Häftlinge am 8. August 1938
Gesamtzahl der Häftlinge: Etwa 190.000 Menschen aus mehr als 40 Nationen, mindestens 90.000 von ihnen wurden getötet.
Befreiung am 5. Mai 1945 von der US-Armee

Neben den in Mauthausen und seinen Nebenlagern inhaftierten Pfarrern ist aber auch an die zu denken, die in der Tötungsanstalt in Hartheim ermordet und damit auch zu Opfern des NS-Terrors auf dem Boden des heutigen Österreich wurden. Aus dem KZ Dachau wurden im Zuge der so genannten Invalidentransporte Häftlinge nach Hartheim gebracht und dort meist gleich nach der Ankunft durch Gas ermordet, darunter im Jahr 1942 die beiden Pfarrer Josef Cohen aus den Niederlanden und der in der Schweiz geborene Werner Sylten, der zuletzt in Berlin gewirkt hat.

„Anonyme Nummern werden wieder Menschen mit einmaliger Geschichte“

Um ihnen allen ein würdiges Gedenken geben zu können, müssen sie von anonymen Nummern wieder zu Menschen mit ihrer einmaligen Geschichte werden. Dazu wird eine Publikation erscheinen, in der in kurzen Biographien diese Zeugen des Evangeliums wieder ein Gesicht bekommen. In dieser Publikation wird die internationale Bedeutung des KZ Mauthausen ebenso dargestellt wie die Frage, ob es im KZ so etwas wie ein religiöses Leben im Verborgenen gegeben hat. Um diese Lebensgeschichten im Kontext sehen zu können, wird auch an die Einstellung der evangelischen Pfarrer in Österreich zum Nationalsozialismus erinnert und an die – wenigen – Reaktionen, die die siebenjährige Schreckensherrschaft des KZ Mauthausen auf das Leben der evangelischen Gemeinden und Einrichtungen in der Umgebung gefunden hat. Diese Publikation wird auf Deutsch und Englisch voraussichtlich im kommenden Herbst erscheinen.

Freilich hat es im KZ Mauthausen viele Evangelische gegeben, die nicht als Pfarrer in ihren Kirchen tätig waren, darunter gewiss auch Österreicher und Österreicherinnen. Von ihnen wissen wir nur sehr wenig, ja oft gar nichts. Einige Beispiele evangelischer Personen, die in der Geschichte ihrer Kirchen eine besondere Bedeutung haben, werden aber in die Publikation zusätzlich aufgenommen werden. Allgemein ist auffallend, dass auch nach mehr als 70 Jahren noch vieles unbekannt ist. Hier sind weitere Nachforschungen wichtig.

„Lehren für heute“

Bei diesem Erinnern geht es immer um zweierlei: zuerst um ein würdiges Gedenken der Menschen, die zu namenlosen Opfern des NS-Terrors geworden sind, und dann um die Lehren für heute, die durch das Erstarken des Rechtsextremismus in vielen Ländern besonders wichtig sind. Es gilt auch ein Signal zu setzen, wenn sich heute bei uns Demonstrierende gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie mit Opfern des Nationalsozialismus vergleichen. Sie verharmlosen dadurch die Verbrechen von damals und verhöhnen die Opfer.

Bald nach der Befreiung im Mai 1945 setzten sich die Überlebenden dafür ein, dass in Mauthausen eine Gedenkstätte errichtet wurde. 1947 übernahm Bundeskanzler Leopold Figl, selbst Häftling in Mauthausen, das ehemalige KZ in das Eigentum der Republik Österreich. Heute beeindrucken die zahlreichen Mahnmale der verschiedenen Länder. Das moderne Besucherzentrum macht Mauthausen zu einem besonderen Lernort.

Der Appellplatz in Mauthausen. Foto: wikimedia/Kasa Fue/cc-by-sa-4.0

„Die Leiden der Opfer dürfen ebenso wenig vergessen werden wie die Schuld der Täter“

Jedes Jahr findet im Mai die Internationale Gedenk- und Befreiungsfeier in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen statt. Die diesjährige am 16. Mai steht unter dem Thema „Vernichtete Vielfalt“. Auch an den zahlreichen Orten der Außenlager und anderen Orten des NS-Terrors gibt es solche Gedenkfeiern, die vom Mauthausen-Komitee und seinen Partnerorganisationen durchgeführt werden. Bei diesen Anlässen wird in zahlreichen Gottesdiensten der Opfer gedacht, so auch im ökumenischen deutschsprachigen Gottesdienst in der zur Kapelle umgebauten ehemaligen Wäscherei des KZ Mauthausen. Das Mauthausen-Komitee betreibt auch eine Reihe von wichtigen Projekten, etwa die Ausbildung von Jugendlichen zu Mauthausen-Guides, den Kampf gegen den erstarkenden Rechtsextremismus oder die Herausgabe wichtiger Publikationen.

Erinnern und nicht vergessen, das gehört zu den zentralen Inhalten der biblischen Überlieferung, die Judentum und Christentum ausmacht. Dazu gehört, dass den Opfern von Gewalt und Verbrechen wieder der Name gegeben wird, den Gott selbst in die Fläche seiner Hand geschrieben hat (Jes 49,16). Die Leiden der Opfer dürfen ebenso wenig vergessen werden wie die Schuld der Täter. So öffnet das Gedenken die Zukunft und macht die Vergangenheit zu einem Erfahrungsraum, aus dem für die Gegenwart gelernt werden kann.

Ausgewählte Biographien von Pfarrern im KZ Mauthausen

René Lescoute

* 25.12.1920 in Tarkastad (Südafrika). Er studierte evangelische Theologie in Montpellier. 1943 schloss er sich der Résistance an und bildete mit Gleichgesinnten das „Camp der Theologen“ in Tréminis nahe Grenoble. Die Gruppe wurde verraten und ihre Mitglieder im Oktober 1943 verhaftet. Nach Monaten im Gefängnis kam René Lescoute am 22. April 1944 ins KZ Mauthausen. Er starb am 28. Jänner 1945 im Nebenlager Ebensee.

Edmund Bursche

* 17.7.1881 in Zgierz (Polen). Er stammte aus einer großen polnischen Pfarrerfamilie, sein Halbbruder Julius war Bischof der Lutherischen Kirche in Polen. Nach einigen Jahren in verschiedenen Gemeinden wurde Edmund Bursche Professor an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Warschau. Im Oktober 1939 wurde er verhaftet und kam ins KZ Sachsenhausen. Nach wenigen Wochen wurde er nach Mauthausen/Gusen deportiert, wo er am 25.7.1940 starb.

Jozef Wilhelm Bernard Cohen

* 30.6.1904 in Amsterdam (Niederlande). Er war Pfarrer in Dokkum. Aufgrund einer Predigt im Juli 1941, in der er sich gegen den Nazi-Antisemitismus wandte, wurde er verhaftet und ins KZ Dachau verschleppt. Im Zuge eines „Invalidentransports“ kam er in die Tötungsanstalt Hartheim, wo er gleich nach der Ankunft am 4.5.1942 durch Vergasung ermordet wurde.

Jacopo Lombardini

* 13.12.1892 Gragnana (Toskana, Italien). Er studierte evangelische Theologie an der Facolta Valdese der Waldenserkirche in Rom. 1924 wurde er Pfarrer der neu gegründeten Waldensergemeinde in Gragnana und wirkte als Lehrer in seiner Kirche. Nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 schloss er sich dem Widerstand an. Am 24.3.1944 wurde er verhaftet und ins KZ Mauthausen deportiert. Es wird erzählt, dass er auch im KZ für seine Mitgefangenen als Seelsorger da war. Am 24.4.1945 wurde er in der Gaskammer des KZ Mauthausen ermordet.

Gedenkstätte Mauthausen: www.mauthausen-memorial.org

Mauthausen-Komitee: www.mkoe.at

ISSN 2222-2464

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