16.06.2018

Müller-Marienburg: Sichtbarkeit noch lange nicht Normalität

Ökumenischer Gottesdienst am Vorabend der Wiener Regenbogenparade

Superintendent Müller-Marienburg: "Gott muss auch unsere Trauer und Ungeduld ertragen, denn es ist unerträglich, wie lange es dauert, bis es keine Strafen mehr für LGBTQ gibt oder niemand mehr Angst haben muss, der zu sein der er ist oder die zu sein, die sie ist." Foto: epd/M. Uschmann

Ökumenischer Gottesdienst am Vorabend der Wiener Regenbogenparade

Wien (epdÖ) Zu einem außergewöhnlichen und berührenden Gottesdienst hatte die ökumenische Arbeitsgruppe „Homosexualität und Glaube“ (HUG) am 15. Juni eingeladen: In der lutherischen Stadtkirche in Wien feierten die GottesdienstbesucherInnen das „PridePrayer“ unter der Überschrift „Sichtbarkeit“ am Vorabend der Regenbogenparade. Es gehe bei der Regenbogenparade zunächst natürlich darum, „ausgelassen zu feiern und das Leben zu genießen“, sagte Superintendent Lars Müller Marienburg in seiner Predigt. Aber das sei nicht alles, was es an so einem Tag zu bedenken gebe: „Die Feierlaune ist nur ein kleiner Teil der Wirklichkeit. Denn es gibt in der Welt nur wenige Regionen, in denen die Menschen sichtbar und sicher feiern können, in denen die Schritte zur Gleichberechtigung gegangen sind.“ So sei die Sichtbarkeit auch in diesem Gottesdienst – „in einer der ehrwürdigsten lutherischen Kirchen des Landes“ – anlässlich der Regenbogenparade nicht selbstverständlich im Leben von LGBTQ (englisch für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, also Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender und Menschen, die nicht heterosexuell sind oder deren Geschlechtsidentität nicht dem binären Modell von männlich und weiblich entspricht). „Wir können hier öffentlich Gottesdienst feiern und auch morgen öffentlich auf der Regenbogenparade feiern, aber wir alle kennen auch Momente, wo wir unsere Liebsten nicht an die Hand nehmen oder lieber ausweichend antworten, wenn wir gefragt werden ob wir verheiratet sind oder Familie haben.“ Und die Sichtbarkeit von LGBTQ sei „ganz sicher nicht der Normalfall“ in der Welt, so der Superintendent: „In über 70 Ländern steht Homosexualität unter Strafe – natürlich kann man dort nicht sichtbar sein.“ Gott aber gebe allen Menschen Würde, weil er den Menschen sichtbar macht, mit allem, was er ist. Dafür gelte es, Gott zu danken. „Aber Gott muss auch unsere Trauer und Ungeduld ertragen, denn es ist unerträglich, wie lange es dauert, bis es keine Strafen mehr für LGBTQ gibt oder niemand mehr Angst haben muss, der zu sein der er ist oder die zu sein, die sie ist.“

Zu Beginn des Gottesdienstes hatte Ortspfarrer Wilfried Fussenegger die GottesdienstbesucherInnen begrüßt mit den Worten: „Willkommen im Namen Gottes, so wie du bist. Gott will Frieden und Farbe in die Welt bringen. Es ist schön, in dieser Vielfalt hier Gottesdienst zu feiern.“ Den Gottesdienst, der zum vierten Mal am Vorabend der Regenbogenparade gefeiert wurde, gestalteten noch der altkatholische Pfarrer Wolfgang Bidner, Pater Hans Hütter, Pfarrmoderator Gregor Jansen, Pfarrerin Gerda Pfandl und der methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs. Eindrucksvoll musikalisch begleitet wurde die ökumenische Feier vom Chor der Zwinglikirche mit Freunden, den Harmony Men und der Jugendband der Lutherischen Stadtkirche. Gegenüber dem epdÖ betonte Superintendent Müller-Marienburg, dass es für ihn eine „große Ehre und Freude“ gewesen sei, bei diesem Gottesdienst die Predigt halten zu dürfen.

ISSN 2222-2464

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