07.11.2018

Bünker: „Quotenregelung für Frauen in Kirchenämtern vorstellbar“

ORF-Interview zum Reformationstag zu Europa und Gedenkjahr 2018

Bünker: „Wir sind stolz darauf, dass wir die Möglichkeit haben, dass Frauen alle Ämter offen stehen. Wir meinen damit ja nicht, dass wir irgendwas Modernes, etwas Zeitgeistiges, sondern dass wir damit ein Prinzip des Neuen Testaments umsetzen.“ Foto: epd/Uschmann

ORF-Interview zum Reformationstag zu Europa und Gedenkjahr 2018

Wien (epdÖ) – Für eine Quotenregelung für Frauen in kirchlichen Leitungsämtern spricht sich der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker aus. In der ORF-Sendung „Das ganze Interview“ zum Reformationstag am Mittwoch, 31. Oktober, sagte Bünker wörtlich: „Ich kann mir eine Quotenregelung vorstellen. Ich kann mir auch grundsätzlich vorstellen, dass wir in der evangelischen Kirche Wahlen nur dann durchführen, wenn Frauen zur Wahl stehen und für das jeweilige Amt kandidieren.“ Bünker reagierte damit auf die Frage, weshalb aktuell die meisten Leistungsämter innerhalb der Evangelischen Kirche A.B. von Männern besetzt würden – obwohl sie auch für Frauen uneingeschränkt offen sind. Dass es bei den zurückliegenden SuperintendentInnenwahlen nicht zur Wahl einer Frau gekommen sei, habe „verschiedene Ursachen“. Vor allem von Frauen habe er gehört, dass sie nicht kandidieren wollten, weil es in ihrer „derzeitigen Lebensphase nicht möglich ist, so ein Amt zu übernehmen, oder weil die derzeitigen persönlichen Lebensumstände es nur schwer möglich machen“. Dennoch sei die Kirche „stolz darauf, dass wir die Möglichkeit haben, dass Frauen alle Ämter offen stehen. Wir meinen damit ja nicht, dass wir irgendwas Modernes, etwas Zeitgeistiges, sondern dass wir damit ein Prinzip des Neuen Testaments umsetzen“. Das Gespräch mit Religionsjournalistin Sandra Szabo widmete sich zudem Europa, Impulsen aus dem Reformationsjahr 2017 sowie dem Gedenkjahr 2018.

„Religiöse Vielfalt zeichnet Europa aus“

Die aktuelle Situation Europas sieht Bünker kritisch. Der Kontinent schotte sich ab, „einige Länder geben hier auch den Takt vor, und Österreich gehört mit seiner derzeitigen Regierung dazu“. Die Grundversprechen, mit denen die Europäische Union angetreten sei – Frieden, Wohlstand, Demokratie und Menschenrechte – müssten heute ergänzt werden: „Wir sehen, dass die Ungleichheit dramatisch zunimmt, nicht nur in Österreich, nicht nur in Europa, sondern weltweit; dass immer mehr Geld bei immer weniger Menschen angehäuft wird und dass immer mehr Menschen an den Rand der Armutsgefährdung oder schon in die Armut gedrängt werden.“ Wenn man zudem sehe, dass die Rechtstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Gerichte oder die Medienfreiheit in Frage gestellt würden, dann „brauchen wir eine neue Reformation für Europa“. Motor für dieses neue Europa müssten die Bürgerinnen und Bürger selbst sein, die den Kontinent nicht nationalstaatlichen Regierungen überlassen dürften. Kritik an der Offenheit gegenüber anderen Religionen teile er nicht. Er höre oft – auch aus der eigenen Kirche –, „wenn man den Islam fördert, würde man den Untergang Europas fördern“. Bünker vertritt jedoch die Auffassung, dass religiöse Vielfalt einen Kontinent, der auf Menschenrechten aufbaut, auszeichne und nicht schädige. „Das wissen auch wir Evangelischen – seit Josef II toleriert, seit Franz Joseph gleichberechtigt – das wissen die Jüdinnen und Juden, das wissen die Orthodoxen, das wissen die Muslime.“

„Evangelische Kirche war in den 1930ern politisch blind“

Im Gedenkjahr 2018 meint Bünker mit Blick auf das Jahr des „Anschlusses“ 1938: „Ich würde mich nicht scheuen, zu sagen, die Evangelische Kirche ist in den 1930er-Jahren in die Irre gegangen. Sie war deutschnational infiltriert, antisemitisch vergiftet und politisch blind. Und das war für die Kirche damals auch die Ursache, warum man zu Fehleinschätzungen gekommen ist und den Anschluss begrüßt hat.“ Sehr bald habe man die Fehler erkannt, Ernüchterung habe eingesetzt, „aber das war zu spät.“ Für heute gelte es, daraus Lehren zu ziehen: Die Kirchen müssten jedem übersteigerten Nationalismus aus christlichem Glauben sehr kritisch gegenüberstehen und sich „keinesfalls mit irgendeinem Nationalanliegen eins zu eins identifizieren. Wir müssen uns bemühen, möglichst politische Klarheit, politische Wachsamkeit zu leben.“

Impuls aus 2017 spürbar

„2017 war ein erstaunliches Jahr, unter anderem in Ländern wie Österreich, wo Evangelische eine Minderheit sind“, meinte Bünker mit Bezug auf das zurückliegende Reformationsjubiläum. 2017 hatten die Evangelischen Kirchen den 500. Jahrestag des Beginns der Reformation gefeiert, und seien dabei, so Bünker, „auf große Resonanz“ gestoßen: „Reformation und das Anliegen, das damit zum Ausdruck kommt, scheint Menschen auch heute etwas zu sagen und etwas zu bedeuten.“ Der daraus hervorgegangene Impuls sei auch bei den Gemeindevertretungswahlen im Frühjahr deutlich geworden: „Es gibt wieder mehr Menschen, die sich dafür interessieren, Aufgaben zu übernehmen, und vor allem jüngere Menschen.“

„Kirche wird in Zukunft noch wichtiger werden“

Angesprochen auf seinen eigenen Abschied vom Bischofsamt im kommenden Jahr meinte Bünker, er werde „die große Vielfalt und Buntheit, die auch in einer kleinen Kirche realisiert wird, und das große Engagement der zahlreichen Ehrenamtlichen, die sich für Flüchtlinge, für Diakonie, für ein gutes Miteinander  vor Ort einsetzen“, durchaus vermissen. Weniger fehlen würden ihm gewisse bürokratische Strukturen innerhalb der Kirche, die durchaus verschlankt werden könnten, aber im Großen und Ganzen blicke er dankbar zurück: „Die Kirche ist eine wichtige Einrichtung und wird in Zukunft noch wichtiger werden, deswegen habe ich mich sehr gerne dafür eingesetzt und werde das auch weiterhin tun.“

„Das ganze Interview“ ist in der ORF-TV-Thek (https://tvthek.orf.at/) sieben Tage lang abrufbar.

ISSN 2222-2464

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