11.10.2023

Wien: Antisemitische Kirchenfenster in der Pauluskirche feierlich mit Stoffbahnen verhüllt

Hennefeld: „Modellhaftes Kunstprojekt“

Stoffbahnen mit den Worten „Liebe“, „Glaube“ und „Hoffnung“ verhüllen nun die antisemitischen Darstellungen in der Wiener Pauluskirche. (Foto: Evang. Kirche Wien/Schomaker)

Hennefeld: „Modellhaftes Kunstprojekt“

Wien (epdÖ) – Vierzehn Fenster mit antisemitischen Bildmotiven sind am Sonntag, 8. Oktober, in der evangelischen Pauluskirche im 3. Wiener Bezirk mit eigens angefertigten, farbigen Stoffbahnen verhüllt worden. „Die Kirchenfenster stellen Juden verletzend dar“, sagte Pfarrerin Elke Petri zu Beginn des Gottesdienstes. „Die Fenster zeigen Jesus als arischen, blonden Jüngling und die Mädchen sehen aus, als seien sie der Hitlerjugend entsprungen.“ Gestaltet wurden sie in den 1960er Jahren vom NS-Künstler Rudolf Böttger (der epdÖ berichtete).

„Verhüllung als Fokussierung ist ein Stilmittel in der religiösen Kunst“, erklärte die Künstlerin Gabriele Petri, die das Projekt künstlerisch begleitete. „Durch das Verhüllen soll nicht das Vergessen oder Verdrängen ermöglicht, sondern vielmehr eine Erinnerung wachgehalten werden.“ Zusätzlich zum Erinnern, so Pfarrerin Elke Petri, würden durch das Kunstprojekt jetzt auch die Werte der Pfarrgemeinde mitkommuniziert. So ist auf jeder Stoffbahn entweder das Wort „Glaube“, „Liebe“ oder „Hoffnung“ zu lesen. Lisa Pacchiani, die das Projekt pädagogisch begleitete, meinte: „Was ich gelernt habe und den Jugendlichen sowie Ihnen allen mitgeben möchte, ist, dass wir Menschen Entscheidungen treffen, dass Dinge passieren – wir aber immer etwas dagegen tun können.“

Aktives Mitgestalten durch Jugendliche

Jugendliche der Pauluskirche waren in das Projekt der Verhüllung von der Idee bis zur Umsetzung eingebunden. So war der Höhepunkt des Gottesdienstes auch die aktive Verhüllung dreier Fenster durch Jugendliche. Anna Eschenbach, Lukas Ofenböck, Felicitas Werb und Felix Werb aus der „Pauli-Jugend“ erklärten dabei, warum sie welches Wort für welches Fenster ausgewählt hatten. So hängten sie zum Beispiel vor dem Buntglasfenster des schreibenden Paulus den Schriftzug „Glaube“ und begründeten dies mit: „Der Glaube motivierte Paulus, seine Erfahrungen aufzuschreiben. Die Paulusbriefe motivieren und begeistern auch heute noch zum Glauben. Und Glaube kann bewahrt werden in den Briefen von Paulus, aber auch in Kunst wie den Fenstern oder den Stoffen.“

Mit der Verhüllung der Kirchenfenster geht für die Jugendlichen ein einjähriges Projekt zu Ende, bei dem sie gern eine tragende Rolle für die Gemeinde übernommen haben. „Es ist eine Ehre, dass wir im Kirchenraum so etwas Wichtiges gestalten durften“, bedankte sich Felix Werb.

Diskurs über Antijudaismus

Namens des Evangelischen Oberkirchenrates A.u.H.B. würdigte der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld das Kunstprojekt. „Für mich ist es schwer zu verstehen, warum ein NS-Künstler diese Fenster trotz Berufsverbotes gestalten konnte. Wie die Gemeinde der Pauluskirche damit umgeht und sich auseinandersetzt, ist für mich modellhaft, denn es gibt für solche Fälle kein Patentrezept“, sagte Hennefeld in seinem Grußwort. „Es ist großartig zu sehen, wie das Kunstprojekt den Diskurs über die Kirchenfenster, über Antijudaismus auslöst”, so der Landessuperintendent, der auch Beauftragter der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich für den christlich-jüdischen Dialog ist.

Die nun erfolgte Verhüllung ist nur eine Übergangslösung in der Auseinandersetzung der Pfarrgemeinde mit den antijüdischen Fenstern. In den kommenden Jahren sollen die Fenster im Zuge einer thermischen Sanierung ausgetauscht werden. Aus den Scherben der Böttger-Fenster soll dann eine Gedenkstelle errichtet werden.

Ein Video über das Verhüllungsprojekt finden Sie auf YouTube:

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ISSN 2222-2464

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Schlagworte

Judentum | Wien | Pauluskirche | Petri

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