20.03.2023

Theologin Parmentier: „Kirchen müssen Feindbilder bewältigen“

Internationale Theologische Bodensee-Konferenz widmete sich Haltung der Kirchen im Ukraine-Krieg

Elisabeth Parmentier bei der Internationalen Theologischen Bodenseekonferenz: „Wir müssen uns der Frage stellen: Hat die ökumenische Arbeit versagt?“ (Foto: Matthias Stahlmann)

Internationale Theologische Bodensee-Konferenz widmete sich Haltung der Kirchen im Ukraine-Krieg

Romanshorn (epdÖ) – Fragen nach dem Umgang mit aktuellen Konflikten, insbesondere dem Krieg in der Ukraine, widmete sich die 71. Internationale Theologische Bodensee-Konferenz 2023 am 17. März im Evangelischen Kirchgemeindehaus im schweizerischen Romanshorn.

Ausgangspunkt der unter dem Titel „Schwerter zu Pflugscharen?! – Pflugscharen zu Schwertern!?“ stehenden Konferenz waren das „zwischen der hoffnungsvollen Friedensvision und der gegenwärtigen Realität breite Spektrum an Meinungen, Positionen und Handlungsoptionen“, hieß es seitens des Veranstalters „tecum“ – Zentrum für Spiritualität, Bildung und Gemeindebau der Evangelischen Landeskirche des Schweizer Kantons Thurgau.

„Wir haben einen Konsens, dass wir den Frieden wollen, aber wir stehen vor der Frage, wie wir handeln sollen“, sagte Elisabeth Parmentier, Professorin für Praktische Theologie und Dekanin der Theologischen Fakultät der Universität Genf (UNIGE). Als Basis für ein konstruktives Handeln nannte Parmentier einen „hoffnungsstarken Glauben und verantwortliche Menschlichkeit“. Darüber hinaus sei eine „notwendende und verbindende Gemeinschaft“ erforderlich.

„Der Krieg in der Ukraine hat zur Folge, dass kirchliche Gemeinschaften zerrissen sind. Er bedeutet auch eine Niederlage für die Ökumene, weil wir mit Orthodoxen nicht ins Gespräch kommen können“, erklärte Parmentier. „Wir müssen uns der Frage stellen: Hat die ökumenische Arbeit versagt?“

Kritisch sah Parmentier die Instrumentalisierung der Religion für sogenannte ethische Trennungslinien. So stigmatisiere der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill den „ethischen Verfall des Westens, Liberalismus und Verlust von Werten“. Es brauche „lokale Partnerschaften vor Ort zwischen ethnischen und religiösen Gruppen und neue Wege der Versöhnung auch zwischen den Kirchen durch einen befreienden Umgang mit der Vergangenheit“, hob Parmentier hervor. Dieser Umgang bedeute auch die „Befreiung von Angst und vom Ego“ und ermögliche „die Hingabe für die anderen“.

Allerdings sieht Parmentier in der Erfahrung der Kirchen mit Versöhnungsarbeit die Chance für einen konstruktiven Beitrag der Kirchen zum Frieden. Es sei schließlich Aufgabe der Kirchen, die von Konflikten geprägte Vergangenheit und Feindbilder zu bewältigen, die „Aufmerksamkeit auf die Schwächsten“ zu lenken und für diese „stellvertretend“ zu handeln.

„Wir müssen über religiöse und nicht-religiöse Zugehörigkeiten hinweg eine gemeinsame Menschlichkeit schaffen“, betonte Parmentier. Möglich sei dies durch ökumenische und interreligiöse Erfahrung sowie durch die „Teilnahme an der Geschichte“ von Menschen anderer Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen.

Hürzeler: Friedensarbeit muss beginnen, bevor Konflikt ausbricht

Präventiv Beziehungen aufbauen und Vertrauen schaffen. Dafür sprach sich Rahel Hürzeler, Expertin für Konflikttransformation im „Hilfswerk der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz“ (HEKS) in ihrem Referat aus. Friedensarbeit sei ein langer Prozess, daher sei der Dialog wichtig – und zwar, bevor es zu Konflikten oder gar Kriegen kommt. Das Besondere an den vielfältigen Tätigkeiten des HEKS sei, „dass wir auf der Grundlage christlicher Werte und der Menschenrechte arbeiten“. Dem HEKS gehe es in vielen Krisen- und Kriegsgebieten weltweit darum, Beziehungen zwischen Religionen, Kirchen und der Gesellschaft zu fördern.

Rahel Hürzeler unterstrich die Notwendigkeit von Prävention, Beziehung und Dialog für eine gewaltfreie Friedensförderung. (Foto: Matthias Stahlmann)

Was die umfassende Tätigkeit des HEKS speziell im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg betrifft, informierte Hürzeler, dass es in der Ukraine und ihren Nachbarstaaten seit vielen Jahren eine gute Zusammenarbeit gebe. „Das hat uns erlaubt, sehr schnell zu reagieren“, und so war das HEKS eine der ersten NGOs vor Ort. Es sei aber nicht nur humanitäre Hilfe geleistet worden, betonte Hürzeler, sondern es gehe darum, soziale Beziehungen aufzubauen. „Dann kann man beginnen, einen Dialog zur Versöhnung zu führen.“ Für eine langfristige Friedensarbeit sei es auch wichtig, die Zivilgesellschaft zu stärken. Hürzeler erinnerte an eine aktive ukrainische Gesellschaft seit der „Orangen Revolution“ 2014. Im Gegensatz dazu werde die russische Gesellschaft seit Jahren unterdrückt und verfolgt. Das HEKS habe in Russland keine Partner, bedauerte sie. Die Ausgangslage für Friedensarbeit wäre dann eine viel bessere.

Hürzeler unterstrich eindringlich, was für eine gewaltfreie Friedensförderung unbedingt notwendig ist: Prävention, Beziehung, Dialog. Bei alledem betonte die Expertin die besondere Stärke kirchlicher Zusammenarbeit. „Als Hilfswerk der Evangelisch-Reformierten Kirche arbeiten wir auf der Basis der christlichen Grundwerte und von Menschenrechten.“ Werte wie Respekt und Nächstenliebe seien Anspruch und Legitimation zugleich und würden in Krisensituationen von der Bevölkerung und Partnern hoch geschätzt, so Hürzeler.

Die Internationale Theologische Bodenseekonferenz versteht sich als eine Plattform der Begegnung und Fortbildung für Pfarrer*innen, Religionspädagog*innen, haupt-, neben- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen in Kirche und Gemeinde sowie weitere Interessierte. An der diesjährigen Hybrid-Veranstaltung nahmen Teilnehmer*innen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich teil. Vorbereitet hatte die Tagung u.a. der Bregenzer Pfarrer Ralf Stoffers.

ISSN 2222-2464

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