05.12.2006

Moderner Ablass: Spenden als Gewissensberuhigung oder konkrete Hilfe?

Im Rahmen der Luther-Ausstellung lud die Evangelische Akademie Wien zur Podiumsdiskussion in das Evangelische Gymnasium

Im Rahmen der Luther-Ausstellung lud die Evangelische Akademie Wien zur Podiumsdiskussion in das Evangelische Gymnasium

Wien (epd Ö) – Spendensammlungen als moderner Ablasshandel? Von Rainald Tippow (Caritas Wien) kommt ein klares Nein: Die Österreicherinnen und Österreicher spenden nicht wegen ihres schlechten Gewissens, sondern weil sie gezielt in Notsituationen helfen wollen. Bei einer Podiumsdiskussion auf Einladung der Evangelischen Akademie Wien ließ Tippow gemeinsam mit Michael Bubik vom Evangelischen Flüchtlingsdienst hinter die Kulissen der Spendenmaschinerie blicken. Den Rahmen der von Waltraut Kovacic moderierten Diskussion bildete die derzeit im Evangelischen Gymnasium laufende Luther-Ausstellung.

„Luther hat sich Sorgen gemacht, dass sich’s die Leute leichtmachen und zum Heil über den Ablass gelangen wollen“, erklärte Michael Bubik. Heute liege das Spendenvolumen in Österreich zwischen 250 und 400 Millionen Euro, wobei im Durchschnitt jede/r rund 60 Euro pro Jahr spende. Hier räumte Tippow gleich mit einem „Mythos“ auf: Die ÖsterreicherInnen wären bei weitem keine Spendenweltmeister. Bei großen Spendenaktionen wie etwa dem Tsunami lag Österreich unter acht Staaten mit 6,10 Euro pro Kopf an siebter Stelle, „Spendenweltmeister“ war damals die Schweiz, wo jede/r durchschnittlich mit 23 Euro den Flutopfern half. Und noch einen „Mythos“ korrigierte Tippow: Die ÖsterreicherInnen spenden nicht in erster Linie für Tiere, wie häufig angenommen, sondern am liebsten für Kinder. An zweiter Stelle, noch vor den Tieren, rangieren Inlandskatastrophen. Gespendet wird generell aus „partizipatorischem Altruismus“, so Michael Bubik. Motive sind die Freude, anderen zu helfen, sich selber großzügig und hilfsbereit erleben zu wollen, das Bedürfnis nach Anerkennung und Prestige oder Schuldgefühle gegenüber Schlechtergestellten. Die ÖsterreicherInnen spenden zudem primär nach ihrer Einschätzung, ob die Notsituation selbst verschuldet ist oder nicht – ein „unbiblischer Ansatz“, kritisierte Tippow. Kritik fand auch ein weiteres Phänomen: Spendengeber wollen, so der Caritas-Experte, oft das Zielobjekt kennenlernen und beispielsweise ihre Spende persönlich übergeben. Hier habe die Caritas schon Spendenangebote ablehnen müssen, um „beschämende Situationen“ zu vermeiden. Problematisch sei auch das Spendenüberangebot zu Weihnachten im Vergleich zum restlichen Jahr.

Einig waren sich Bubik und Tippow, dass es nicht bei der „tätigen Caritas“ bleiben darf, sondern die „politische Caritas“ folgen müsse, um Elend an der Wurzel zu bekämpfen – auch wenn Menschen, die für unmittelbare Hilfe gerne spenden, die notwendige politische Arbeit oft heftig kritisierten. Dass in der politischen Arbeit auch immer wieder aufgezeigt werden muss, wie gefährdet die Demokratie ist, hat Michael Bubik beim Aufbau der Flüchtlingsarbeit erfahren. Wie es um die Demokratie steht, „sehen wir daran, wie mit Schwachen, mit Minderheiten umgegangen wird“. Gerade auch für die politische Arbeit sei ein hohes Spendenaufkommen „enorm wichtig“, denn: „Nur wenn der Staat merkt, dass genügend Leute für die Hilfsorganisationen spenden, werden wir auch politisch ernstgenommen.“

ISSN 2222-2464

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