24.10.2023

Körtner: Kurt Lüthis Theologie als Antwort auf Fragen der Zeit

Gedenkvorlesung zum 100. Geburtstag des reformierten Theologen hob dessen Leistungen in einer pluralen Gesellschaft hervor

In einer Gedenkvorlesung erinnerte Ulrich Körtner an seinen Vorgänger am Lehrstuhl für Reformierte Theologie in Wien. Kurt Lüthi hätte heuer seinen 100. Geburtstag gefeiert. (Foto: epd/Dasek, Montage: epd/Bruckner)

Gedenkvorlesung zum 100. Geburtstag des reformierten Theologen hob dessen Leistungen in einer pluralen Gesellschaft hervor


Wien (epdÖ) – Am heurigen Reformationstag, 31. Oktober, hätte Kurt Lüthi seinen 100. Geburtstag gefeiert. 26 Jahre (1964-1990) hatte der Schweizer Theologe, der 2010 verstarb, den Lehrstuhl für reformierte Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien inne. Auf ihn folgte 1992 der Theologe und Medizinethiker Ulrich Körtner. In einer Gedenkvorlesung unter dem Titel „Theologie als Zeitgenossenschaft“ erinnerte Körtner am Montagabend, 23. Oktober, in Wien an den profilierten Vertreter des reformierten Protestantismus, der weit über die Grenzen der akademischen Welt hinaus gewirkt und sich immer wieder an öffentlichen Debatten zu gesellschaftlichen Fragen beteiligt hatte.

Lüthis Lebenserinnerungen, die er 2009 wenige Monate vor seinem Tod veröffentlichte, tragen den programmatischen Titel „Theologie als Zeitgenossenschaft“. „Diese Formel charakterisiert in der Tat Lüthis Lebens- und Denkweg, sein Forschen und Lehren, sein gesellschaftliches und kirchliches Engagement bis ins hohe Alter“, hob Körtner hervor. Mit ihr bezeichne Lüthi „den Standort“ seines „biographischen Erlebens“. Die theologische Argumentation verstehe er dabei nicht „als ein geschlossenes System“. Theologie sei nach Auffassung Lüthis „antwortende Theologie“, eine Theologie als Antwort auf Fragen der Zeit.

„Ich verstehe auch meinen Standort des ‚Evangelisch-Seins‘ nicht als Verharren im ‚Inneren einer Tradition‘, sondern als Position, die sich durch Welt und Zeit herausfordern lässt und Antworten sucht. Damit muss Theologie sich mit einer Pluralität von Positionen auseinandersetzen“, zitierte Körtner den am 31. Oktober 1923 in Bern geborenen Theologen. Die Reformation und die Neuzeit als Aufklärung mit Idealismus und Romantik seien für Lüthi Traditionen und Positionen, die für ihn „unaufgebbar“ waren. Lüthi habe es als sinnvoll erachtet, „wachhaltende Erinnerungen“ gegen Vergessen und Verdrängen zu stellen.

Theologie der Befreiung im europäischen Kontext

Demnach verstand Körtner seine Würdigung Lüthis auch als eine „wachhaltende Erinnerung“ an einen Theologen, der seine Form von antwortender Theologie ausdrücklich als kontextuelle Theologie begriffen habe. Diese achte „im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die ‚Zeichen der Zeit‘“, beteilige sich an interdisziplinären Dialogen und weiß sich „in besonderer Weise dem Anliegen einer Theologie der Befreiung mit ihrer Option für die Armen verpflichtet“, unterstrich Körtner. „Es ging, kurz gesagt, um eine Theologie der Befreiung im europäischen Kontext, für die das alttestamentliche Motiv des Exodus zentral ist, das sich wiederum mit einer Theologie der Hoffnung einschließlich ihrer sozialkritischen Konsequenzen verbindet“, so Körtner.

Lüthis Theologie sei „im besten Sinne des Wortes das, was man heute als ‚Öffentliche Theologie‘ bezeichnet“, bekräftigte Körtner. Lüthi sei „im lebendigen Gespräch mit der zeitgenössischen Kunst“ gestanden, er habe zudem „lebhaftes Interesse an den gesellschaftlichen Veränderungen und kirchlichen Aufbrüchen, die sich mit der Studentenbewegung der 1968er-Jahre verbanden“ gezeigt, betonte der Wiener Theologe.

Prägend wurde für Kurt Lüthi auch die Weggemeinschaft mit Wilhelm Dantine, der 1963 auf den Lehrstuhl für lutherische Theologie in Wien berufen wurde. Beide, so Körtner, agierten innerhalb wie außerhalb der Fakultät oft gemeinsam, z.B. in Fragen der Strafrechtsreform während der 1970er-Jahre, als es heftige Kontroversen um die Fristenlösung im Abtreibungsparagraphen gab. Auch kirchenpolitisch agierten Lüthi und Dantine zusammen, „legendär“ sei die Unterstützung der 1971 entstandenen progressiven „Salzburger Gruppe“. Körtner: „Man sagt wohl nicht zu viel, wenn man Lüthi als einen politisch links eingestellten Kirchenlehrer bezeichnet, der auf lange Sicht zumindest die reformierte Kirche in sozialethischen Fragen stark beeinflusst hat, aber gemeinsam mit Dantine auch in die lutherische Kirche hinein wirkte.“

Wie Körtner ging auch der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld in seinem Grußwort auf Kurt Lüthis Verdienste im christlich-jüdischen Gespräch und sein Interesse für moderne Kunst ein. „Zuallererst war Kurt Lüthi nicht Reformierter, nicht Schweizer, nicht Theologe, nicht Professor, sondern Mensch“, bekräftigte Hennefeld, der Lüthi auch als „Mann des Dialogs“ bezeichnete.

Lüthi, der seit 1972 mit der Wiener Künstlerin und Filmemacherin Linda Christanell (geb. 1939) verheiratet war, engagierte sich auch im Gespräch zwischen Theologie und Psychoanalyse und unterstützte die Anliegen der Feministischen Theologie, führte Körtner weiter aus. Mit seinem 1978 erschienenen Buch „Gottes neue Eva. Wandlungen des Weiblichen“ habe sich Lüthi den „Herausforderungen des zeitgenössischen Feminismus“ gestellt, für eine offene Sexualmoral sowie für einen offenen Umgang mit Homosexualität und Androgynität plädiert und die Revision patriarchaler Gottesbilder gefordert.

Über mehrere Jahrzehnte gehörte Kurt Lüthi verschiedenen Gremien der Evangelischen Kirche in Österreich an, darunter der Synode der Evangelischen Kirche H.B. und der Generalsynode der Evangelischen Kirche A. und H.B. Für sein ökumenisches Engagement wurde er als Ehrenmitglied der von Kardinal Franz König gegründeten kirchlichen Stiftung Pro Oriente geehrt.

ISSN 2222-2464

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