23.01.2014

„Gefängnis ist immer nur Ultima Ratio“

Gefängnisseelsorge: Internationale Vorstandstagung in Wien - Menschenrechtsfragen und Austausch auf der Agenda

Suchen Alternativen zum Jugendstrafvollzug: die IPCA-Vorstandsmitglieder (v.l.) Martin Faber, Matthias Geist und Peter Middelkoop. (Foto: epd/Uschmann)

Gefängnisseelsorge: Internationale Vorstandstagung in Wien – Menschenrechtsfragen und Austausch auf der Agenda

Wien (epdÖ) – Jugendstrafvollzug, Privatisierung von Gefängnissen und Menschenrechtsfragen im Kontext des Justizwesens waren Themen eines Gesprächs des Evangelischen Pressedienstes mit Vorstandsmitgliedern der International Prison Chaplains Association (IPCA), die sich vom 21. bis 23. Jänner zu einer Vorstandssitzung in Wien trafen.

„Als GefängnisseelsorgerInnen kommen wir dem biblischen Auftrag nach, Gefangene zu besuchen und sie bestmöglich zu unterstützen“, erklärte Vorstandsmitglied Peter Middelkoop (Niederlande). Es gehe aber nicht darum, die Insassen zu missionieren. Aufgabe der IPCA, die im kommenden Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiert, sei es, den Austausch zwischen den Seelsorgerinnen und Seelsorgern zu fördern und gemeinsam die für Gefängnis und Gefangene relevanten Themen zu diskutieren.

Eines dieser Themenfelder ist der Jugendvollzug. Ob es überhaupt sinnvoll sei, Jugendliche zu inhaftieren, lasse sich schwer beantworten, sagte Gefängnisseelsorger Martin Faber (Deutschland). In Deutschland habe es in den vergangenen Jahren zwar viele positive Reformen gegeben, dennoch sollte das Gefängnis immer nur die Ultima Ratio, also die letzte Möglichkeit sein. „Deswegen sind wir Gefängnisseelsorger bemüht, Alternativen zum Strafvollzug zu suchen. Unser Augenmerk liegt nicht nur darauf, dass die Haftbedingungen besser werden, sondern auch darauf, dass es immer weniger Gefangenenvollzug gibt.“ Es brauche eine sozialpädagogische Herangehensweise in diesem Bereich, davon ist auch der österreichische evangelische Gefängnispfarrer Matthias Geist überzeugt. „Für diese Jugendlichen brauchen wir einen anderen Rahmen, eine andere Institution.“ Middelkoop verweist darauf, dass für viele Jugendliche ein gutes Leben nach der Haft nur schwer möglich ist. „Diesen Jugendlichen haftet ein Makel an. Und das erschwert ihnen ihre Zukunft, etwa was Jobaussichten betrifft, sehr.“ Das Gefängnis dürfe für Jugendliche jedenfalls nicht eine Art „Hochschule für Kriminalität“ sein.

Ebenso problematisch sei der „aus den USA kommende internationale Trend“, hoheitliche Aufgaben an private Unternehmen zu übergeben, wie etwa beim Schubhaftgefängnis Vordernberg. „Das Problem ist die Überschneidung der Aufgaben in den Gefängnissen zwischen dem staatlichen und dem privat bezahlten Personal“, berichtete Faber. Mittlerweile gäbe es nicht nur in den USA und in Großbritannien, sondern auch in Deutschland Gefängnisse, an denen auch Privatunternehmen beteiligt sind. Dies sei höchst problematisch und auch keineswegs günstiger als rein staatliche Gefängnisse, wie dies oft behauptet werde. „Aus menschenrechtlichen Gründen glaube ich, dass Freiheitsentzug nicht privat betrieben werden darf. Wir haben immer gesagt, dass ein solch heftiger Eingriff in die Freiheit eines Menschen nicht in private Hände kommen darf. Denn in dem Moment, wo man diesen Bereich privatisiert, wird daraus Geschäftemacherei“, so Faber. Eine Kritik, der sich in Hinblick auf das Schubhaftgefängnis Vordernberg auch Geist anschließt.

Kritik gibt es auch an der so genannten Sicherungsverwahrung, wie sie in Deutschland praktiziert wird. Unter Sicherungsverwahrung versteht man im deutschen Strafrecht eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung. Sie soll dazu dienen, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen, und hat somit Präventivfunktion. Im Gegensatz zur Freiheitsstrafe knüpft die Sicherungsverwahrung einzig an die Gefährlichkeit des Straftäters für die Allgemeinheit an. „Deutschland ist das einzige Land, das so eine problematische Form der Unterbringung hat“, betonte Faber. Denn hier würde nicht jemand für ein begangenes Verbrechen bestraft, sondern nur auf Grund einer Vermutung weggesperrt. „Dahinter steht das Versprechen, man könne eine Gesellschaft so sicher machen.“ Aus Sicht Fabers habe daher der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Recht von einer Menschenrechtsverletzung gesprochen und die deutsche Bundesregierung aufgefordert, Änderungen vorzunehmen. „Sicherungsverwahrung darf es einfach nicht geben, das ist völlig abstrus“, bringt es der Gefängnisseelsorger auf den Punkt.

Auch in Österreich gäbe es mit dem so genannten Maßnahmenvollzug etwas Ähnliches wie die Sicherungsverwahrung in Deutschland. „Hier sind Menschen in Haft ohne eine Straftat begangen zu haben. Und das teilweise auf unbestimmte Dauer, nur auf Grund von Vermutungen. Das macht die Frage virulent: Wo gehen wir hin mit diesem System?“, so Pfarrer Geist. Besonders problematisch sei der Umgang mit so genannten „geistig abnormen Rechtsbrechern“. „Was macht die Gesellschaft mit diesen Menschen? Sie leben in einer Justizanstalt, ihre medizinische und therapeutische Betreuung ist abhängig von der Justiz. Der breiten Bevölkerung ist vermutlich nicht bewusst, welche menschenrechtlichen Probleme und Fragen dahinterstehen.“

Das Vorstandstreffen der IPCA in Wien diente auch der Vorbereitung der nächsten GefängnisseelsorgerInnen-Konferenz Ende März und Anfang April in Straßburg (Frankreich).

Nähere Informationen zur Arbeit der IPCA finden Sie im Internet unter: www.ipcaeurope.org und www.ipcaworldwide.org

ISSN 2222-2464

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