22.10.2023

Evangelische Spuren

Julia Schnizlein über eine kleine, aber für Österreich bedeutende Kirche

Am Reformationstag denken Evangelische an die oft leidvolle Geschichte ihrer Kirche, aber auch an die großen evangelischen Spuren in der Gesellschaft. (Foto: Ausschnitt aus einem Bild in der Kapelle des Evangelischen Krankenhauses Wien, epd/Uschmann)

Julia Schnizlein über eine kleine, aber für Österreich bedeutende Kirche

Was haben Johann Strauss Sohn, Otto Wagner, Theophil Hansen, Alma Mahler-Werfel, Oskar Werner, Theodor Billroth und der Vater der österreichischen Verfassung, Hans Kelsen, gemein? Sie alle waren evangelisch!

Am 31. Oktober feiert das evangelische Österreich den Reformationstag und erinnert an die Anfänge der evangelischen Kirche vor über 500 Jahren. In Österreich schlug die Reformation damals ein wie eine Bombe – im positiven Sinn! Die Menschen waren begeistert vom Gedanken, dass Gott den Menschen ohne Vorleistung und Gegengeschäft liebt. Auch das „Priestertum aller Gläubigen“ und die Tatsache, dass alle die Bibel selbst lesen und interpretieren können, fand großen Widerhall. Im Jahr 1522 hielt der ursprünglich katholische Priester Paul Speratus in einem Gottesdienst im Wiener Stephansdom die erste evangelische Predigt, und Ende des 16. Jahrhunderts hatten sich bereits zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung dem Protestantismus zugewandt.

Erst unter Kaiser Ferdinand II. verschwand der Protestantismus wieder gewaltsam von der Bildfläche. Die Evangelischen wurden vor die Wahl gestellt, ihrem Glauben abzuschwören oder ihr Zuhause, ihr Hab und Gut oder sogar ihre Kinder zu verlieren. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 200.000 Menschen ihre Heimat verließen. Viele andere wurden offiziell wieder katholisch, lebten ihren evangelischen Glauben aber im Geheimen weiter. So wurde das protestantische Glaubensgut in Österreich fast über 200 Jahre im Verborgenen bewahrt. Unter Kaiser Joseph II. durften sich die Evangelischen wieder aus der Deckung wagen. Ab 1781 wurden sie offiziell geduldet, und langsam konnte sich die evangelische Kirche auch in Österreich etablieren.

Bis heute ist der Anteil der Protestanten an der Gesamtbevölkerung aber aufgrund der Geschichte entsprechend klein – die Spuren, die sie in der österreichischen Kunst, Kultur, Architektur und Politik hinterlassen haben, sind aber umso größer. Auch daran denken Protestanten, wenn sie am Reformationstag in die Kirche gehen.

In unserer Gemeinde, der Lutherischen Stadtkirche in Wien, spricht heuer übrigens in protestantischer Manier ein theologischer Laie: der ebenfalls evangelische Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

ISSN 2222-2464

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