27.04.2005

Evangelische Kirchen feiern 60 Jahre Zweite Republik

Fischer: Verantwortungsvoll und vernünftig mit Geschichte umgehen – Stunde des Gedenkens in der Reformierten Stadtkirche – Erklärung zum Gedenkjahr

Fischer: Verantwortungsvoll und vernünftig mit Geschichte umgehen – Stunde des Gedenkens in der Reformierten Stadtkirche – Erklärung zum Gedenkjahr

Wien (epd Ö) – Mit einer Stunde des Gedenkens hat die Evangelische Kirche A.und H.B. in Österreich an die Errichtung der Zweiten Republik vor 60 Jahren erinnert. Bei der Feier am Mittwochabend in der Reformierten Stadtkirche, an der Spitzen aus Kirche, Politik und Ökumene teilgenommen haben, stellte Synodenpräsident Dr. Peter Krömer die Erklärung der Evangelischen Kirchen zum Gedenkjahr 2005 vor und überreichte sie Bundespräsident Dr. Heinz Fischer. In der Erklärung sprechen die Evangelischen Kirchen von ihrer Schuld und ihrem Scheitern in der Zeit des Nationalsozialsozialismus. An die Bürgerinnen und Bürger appellieren die Evangelischen Kirchen, ihre politische Verantwortung aktiv wahrzunehmen.

„Wir sind in der Lage und guten Willens, mit unserer Geschichte vernünftig und verantwortungsvoll umzugehen“, sagte der Bundespräsident. Es gehe an diesem Tag nicht nur um den Rückblick, sondern um das, was für die Gegenwart und Zukunft des Landes bleibt. 1945 habe man aus der Geschichte gelernt, den Geist der Zusammenarbeit und Versöhnung beschworen, trotz des katastrophalen Zustandes haben Optimismus und Zuversicht geherrscht, unterstrich Fischer.

Es erfülle ihn mit „Freude, Dank und Verwunderung, mit welchem Eifer und welcher Vision die Menschen 1945 die Zweite Republik aus den Trümmern gehoben haben“, sagte der evangelisch-lutherische Bischof Mag. Herwig Sturm. Aus Österreich sei ein „begeistert demokratisches Land“ geworden, konstatierte der reformierte Landessuperintendent Mag. Wolfram Neumann. Gedenken bedeute, „sich erinnern, sich freuen und beten“, dass Österreich aus Asche und Ruinen auferstanden sei, erklärte Erzbischof Dr. Mesrob Krikorian von der Armenisch-apostolischen Kirche in seinem Grußwort.

Der römisch-katholische Weihbischof Dr. Helmut Krätzl verwies darauf, dass in den 60 Jahren auch ein Stück gemeinsamer Ökumene sichtbar geworden sei, „auf die wir stolz, aber nicht ohne Selbstkritik zurückblicken dürfen“. Der Weihbischof erinnerte daran, dass in beiden Kirchen Christen unterschiedlich zum Anschluss gestanden sind und ihn zum Teil begrüßt haben. In bedauerlicher Weise sei die Einheit zwischen den Kirchen nicht nur theologisch, sondern auch politisch gestört gewesen. Die Kirchen haben eine gemeinsame Schuld auf sich geladen, indem sie zu wenig gegen den Antijudaismus unternommen und ihn sogar noch theologisch untermauert haben.

Ohne Gedenken kein Leben in Zukunft

Die jüdische und christliche Tradition lehre das Gedächtnis und die Erinnerung. Ohne Gedenken gebe es kein Leben in Zukunft, sagte Oberkirchenrat Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker. Das „Versagen der evangelischen Kirche, der protestantischen Theologie, der einzelnen Christinnen und Christen, der Pfarrer und Lehrenden“ sprach Oberkirchenrätin Dr. Hannelore Reiner an. „Wir brauchen das Erinnern für unseren Glauben, dass wir für eine Zukunft eintreten, in der dem Geist von Gewalt und Vergeltung widerstanden wird und der Geist von Gerechtigkeit und Frieden sich durchsetzt“, so die Oberkirchenrätin.

In der Gedenkstunde erinnerten die Kirchen an vier Evangelische, die, wie Reiner betonte, gezeigt hätten: „Es muss nicht so gehen, wie es weithin gegangen ist.“ Als viele andere wegschauten, habe Baronin Mary Holzhausen Zivilcourage bewiesen. Beim Todesmarsch ungarischer Jüdinnen und Juden nach Mauthausen verteilte Holzhausen vor Kirchdorf Brot an die Todgeweihten und ließ sich auch von Drohungen der bewaffneten Begleitmannschaften nicht beirren.

Der ungarische Theologiestudent Zsigmond Varga wurde bei seiner Predigt in der Reformierten Stadtkirche in Wien von einem Gestapospitzel abgehört und wenige Tage danach festgenommen. Er starb in Mauthausen. Vilma Ziermann hat als Gemeindeschwester in Fürstenfeld und einzige kirchliche Bezugsperson in der Oststeiermark am 15. April, als die Stadt schon unter Beschuss lag, den letzten und dann im Juni den ersten Gottesdienst gehalten. Der Grazer Pfarrer Wolfgang Pommer gilt als Vertreter der Bekennenden Kirche in Österreich. Für die Generalsynode 1947 hat er ein Bußwort formuliert, das, so Bünker, „die Irrwege seiner Kirche messerscharf aufzeigte“.

„Am 30. April 1945 hat die Weltgeschichte selbst die Bibel ausgelegt“, sagte der frühere reformierte Landessuperintendent HR Mag. Peter Karner, als er aus Jesaja 14,12-20 zitierte. Reformierte Pfarrer in der Schweiz hatten diese Bibelverse kommentarlos verlesen, als Hitlers Selbstmord bekannt geworden war. Während der Gedenkstunde wurden Porträts und Briefe der Widerstandskämpfer an die Wand projiziert. Die Feier prägten Texte und Lieder von Berthold Brecht, Jura Soyfer und alttestamentlichen Propheten.

Musikalisch umrahmt wurde das Gedenken von Pamela Böhm (Gesang), Karl Immervoll (Klavier) und Klaus Hehn (Orgel). Die Ö1-Sendung „Motive“ am 8. Mai dokumentiert die Gedenkstunde.

ISSN 2222-2464

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