17.06.2023

Ein Tränenmeer

Michael Chalupka über das Sterben im Mittelmeer

“Wir wissen so wenig über die Menschen, die ihr Leben in den Fluten des Meeres lassen mussten”, schreibt Michael Chalupka. Was wir wissen: Auch sie hatten Hoffnungen und Ängste, wie jeder von uns. (Foto: Pixabay)

Michael Chalupka über das Sterben im Mittelmeer

Für die hunderten Toten, die ums Leben gekommen sind auf ihrer Flucht nach Europa, in ein Schiff gepfercht von skrupellosen Schleppern, die ihr Geschäft mit dem Leid machen – für sie kommt jede Hilfe zu spät. Die Frauen und Männer und ihre Kinder, sie sahen keine Möglichkeit, auf regulärem Weg Schutz in Europa zu finden. Legale Wege, humanitäre Korridore gibt es nicht.

Selbst ein Begräbnis bleibt ihnen verwehrt. Begraben wir einen unserer Liebsten, dann scheint noch einmal sein Leben hell, spiegelt sich alles, was er war, in der Trauer, dem Abschied und dem Ritual der Trauerfeier. Im Moment des Abschieds zeigt sich ein letztes Mal die Einzigartigkeit des Verstorbenen. Jeder Mensch ist einzigartig, wie die Christen sagen, geschaffen nach dem Bilde Gottes, jeder vollkommen, jede anders.

Wir wissen so wenig über die Menschen, die ihr Leben in den Fluten des Meeres oder dem Bauch des sinkenden Schiffes lassen mussten. Nicht woher sie kamen, nicht woran sie glaubten, was sie erlitten und erhofften. Was wir aber wissen, ist, dass sie von einer Mutter geboren wurden, einen Vater haben, und dass viele von ihnen Geschwister hatten, die um sie trauern und weinen. Sie hatten Hoffnungen und Ängste, wie jeder von uns. Und sie hatten Namen. Jede und jeder vollkommen, jede anders.

Ihr Grab ist das Meer. Dasselbe Meer, in dem in diesem Sommer tausende Erfrischung suchen werden. Es ist zum Meer der Tränen geworden.

ISSN 2222-2464

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Schlagworte

Chalupka | Flüchtlinge | Tod

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