21.02.2018

Bünker: „Dunkle Seiten unserer Geschichte nicht auslöschen“

Hochrangige Podiumsdiskussion bei internationaler Antisemitismus-Konferenz in Wien

Bischof Bünker ging auf die lange Geschichte des Antisemitismus in europäischen evangelischen Kirchen ein. Mit ihm diskutierten der französische Imam Hassen Chalghoumi, der argentinische Rabbiner Abraham Skorka und der italienische Erzbischof Pierbattista Pizzaballa. Es moderierte der New Yorker Professor für Jewish Studies, Lawrence H. Schiffmann. Foto: Ouriel Morgensztern

Hochrangige Podiumsdiskussion bei internationaler Antisemitismus-Konferenz in Wien

Wien (epdÖ) – „Studien belegen, dass die Zugehörigkeit zu einer Kirche keinen Einfluss darauf hat, ob jemand antisemitisch ist oder nicht. Das zeigt uns: Wir haben noch viel zu tun.“ Das sagte Bischof Michael Bünker anlässlich einer Podiumsdiskussion zum Antisemitismus in den abrahamitischen Religionen Christentum, Judentum und Islam an der Universität Wien. Mit Bünker diskutierten am Montag, 19. Februar, der französische Imam Hassen Chalghoumi, der katholische Erzbischof und Administrator des Lateinischen Apostolats von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, und der argentinische Rabbiner Abraham Skorka. Die Gesprächsrunde war Teil einer internationalen Antisemitismus-Konferenz, die von 18. bis 22. Februar an der Universität Wien stattfindet.

Bünker, der auch Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) ist, betonte die Unvereinbarkeit des christlichen Glaubens mit antisemitischen Haltungen. Zugleich bedauerte er das Involviertsein insbesondere der Evangelischen Kirche in den grassierenden Nationalismus und Antisemitismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Nach 1945 wuchs das Bewusstsein für die Schuld an der Shoah. Das hatte vielfältige Konsequenzen.“ Zum Beispiel müsse die gesamte Kirche und Theologie auf antisemitische Rückstände untersucht werden – ein Prozess, der immer noch im Gang sei. Zugleich würde er antisemitische Passagen im Neuen Testament nicht einfach ignorieren: „Wir sollten die dunklen Seiten unserer Geschichte nicht auslöschen.“

Pizzaballa: „50 Jahre können 2000 nicht rückgängig machen“

Der katholische Erzbischof Pierbattista Pizzaballa betonte mit Blick auf das Konzilsdokument „Nostra Aetate“, das 1965 die Beziehungen von Juden und Katholiken neu definierte: „Wir können 2000 Jahre nicht in 50 Jahren rückgängig machen.“ Wichtiger als offizielle kirchliche Dokumente seien in der Aufarbeitung der Verfehlungen gegenüber Jüdinnen und Juden Gesten von Papst Johannes Paul II. wie der Besuch in Israel oder im KZ Auschwitz gewesen. „Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ist aber nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine Glaubensfrage.“ Christliche Theologie könne nicht stattfinden, ohne den Antisemitismus zu thematisieren. Hier brauche es zudem ein verstärktes Bewusstsein insbesondere in Asien und Afrika, wo Pizzaballa in dieser Hinsicht noch Aufholbedarf ortet.

Pizzaballa wurde 2016 zum Apostolischen Administrator und damit zum vorübergehenden Leiter des Patriarchats von Jerusalem ernannt. Bei seiner Bischofsweihe im September des gleichen Jahres hoffte er für das Heilige Land auf einen „Frieden, der freundlich ist und mit aufrichtiger Akzeptanz der anderen“.

Chalghoumi: Wichtige Rolle der sozialen Medien

Der islamische Geistliche Hassen Chalghoumi verwies auf die wichtige Rolle von sozialen Medien in der Verbreitung von antisemitischen Ressentiments: „Schauen Sie nur auf meine eigene Facebook-Seite, da werden Sie tausende antisemitische Kommentare von Usern finden.“ Hier müssten Bildungsmaßnahmen für Jugendliche ansetzen, wie er sie in seiner eigenen Moschee verfolge. Zugleich nimmt Chalghoumi Politiker in die Pflicht: „Viele Politiker instrumentalisieren den Konflikt zwischen Juden und Muslimen. Das muss aufhören. Wir sitzen alle im selben Boot.“

Chalghoumi, Leiter der Moschee im Pariser Vorort Drancy und Präsident der Konferenz der Imame Frankreichs, gilt als prominentester Imam Frankreichs. Seine Stellungnahmen zum interreligiösen Dialog zwischen Judentum und Islam brachten ihm in der Vergangenheit wiederholt Morddrohungen ein. Von radikalen Muslimen wurde er als „Imam der Juden“ bezeichnet.

Skorka: „Unglücklicherweise brauchte es Shoah für Umdenken“

„Juden waren immer mit Schweigen konfrontiert“, sagte Rabbiner Abraham Skorka. „Zunächst rechneten die Juden mit Gott wegen der Leiden, die sie ertragen mussten. Die Antwort, die sie erhielten, war: ‚Bleibt ruhig!‘“ Heute sei es allerdings nicht das Schweigen Gottes, das es zu untersuchen gelte, sondern das der Menschen. „Unglücklicherweise brauchte es erst die Shoah, bis die christlichen Glaubensgemeinschaften zu einem Umdenken dahingehend kamen.“ Auch das Studium der alten jüdischen Schriften könne zum Abbau von Vorurteilen und zu einer „freien, demokratischen, humanistischen, pluralistischen Gesellschaft beitragen“.

Skorka, Rektor des lateinamerikanischen Rabbinerseminars in Buenos Aires, stand lange Zeit in einem intensiven Dialog mit dem damaligen argentinischen Erzbischof Jorge Mario Bergoglio, dem späteren Papst Franziskus. Im Jahr 2010 erschienen die Gespräche über Themen wie den Holocaust oder die arabisch-israelischen Beziehungen in Buchform.

Moderiert wurde das auf Englisch geführte Gespräch von Lawrence H. Schiffman, Professor für Jewish Studies an der New York University. Seine Universität ist gemeinsam mit der Universität Wien und der University of Tel Aviv für die Organisation der Konferenz „An End to Antisemitism“ verantwortlich. Mehr als 150 Forscherinnen und Forscher sprechen in 16 Sektionen. Den Eröffnungsvortrag am Sonntag, 18. Februar, hielt der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy, Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, Moshe Kantor, richteten Grußworte an die KonferenzteilnehmerInnen. Verlesen wurde auch eine Grußadresse von Papst Franziskus.

ISSN 2222-2464

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