11.11.2023

25 Jahre „Zeit zur Umkehr – Die Evangelischen Kirchen in Österreich und die Juden“

Pfarrer Werneck bei Studientag in Linz: „Umkehr beginnt mit Bekenntnis der Mitschuld der Kirchen“

Landessuperintendent Thomas Hennefeld hob beim Studientag im ORG ROSE Linz die „untrennbare Verbindung“ der Kirche mit dem Judentum hervor. (Foto: epd / M. Link)

Pfarrer Werneck bei Studientag in Linz: „Umkehr beginnt mit Bekenntnis der Mitschuld der Kirchen“

Linz (epdÖ) – Vor 25 Jahren hat die Generalsynode der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich die Erklärung „Zeit zur Umkehr – Die Evangelischen Kirchen in Österreich und die Juden“ verabschiedet. Am Samstag, 11. November, stand diese Erklärung im Mittelpunkt eines synodalen Studientages, bei dem Expertinnen und Experten nicht nur das Dokument, sondern auch aktuelle Projekte thematisierten.

„Wir sind untrennbar mit dem Judentum verbunden“, sagte eingangs Landessuperintendent Thomas Hennefeld und brachte dabei den wiederaufkeimenden Antisemitismus zur Sprache. Bedrückend sei der Antisemitismus zur Zeit der Pogrome, an die in den vergangenen Tagen gedacht wurde. Die Tagung fände, wie Hennefeld anmerkte, zudem nur wenige Wochen nach den „furchtbaren Terrorangriffen“ der Hamas auf Israel statt.

Der Studientag, der auf eine Initiative des früheren Oberkirchenrats Karl Schiefermair zurückgeht, rief die Erklärung der Generalsynode vom November 1998 anlässlich des 60. Jahrestages des Pogroms von 1938 in Erinnerung. Darin heißt es, dass „der Anteil und die Mitschuld von Christen und Kirchen am Leiden und Elend von Juden nicht länger zu leugnen“ sei. „Die Kirchen haben gegen sichtbares Unrecht nicht protestiert, sie haben geschwiegen und weggeschaut, sie sind ‚dem Rad nicht in die Speichen gefallen‘“, wird Dietrich Bonhoeffer, der 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg ums Leben gekommen war, in der Erklärung zitiert. Deshalb seien „nicht nur einzelne Christinnen und Christen, sondern auch unsere Kirchen am Holocaust / an der Shoah mitschuldig geworden“, so der Wortlaut im Dokument.

IKG-Präsidentin Herman: Guter christlich-jüdischer Dialog nach Mitschuld der Kirche

Die Evangelische Kirche trage historisch mit Schuld am Antisemitismus, hob Charlotte Herman, Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde (IKG) Linz, hervor. Allerdings sei es zu der nötigen Umkehr, einem Umbruch in der Kirche gekommen. Demnach funktioniere heute „der christlich-jüdische Dialog in Österreich sehr gut“, konstatierte Herman.

„Antijudaismus gab es zu allen Zeiten in allen Kirchen“, erklärte Roland Werneck, Pfarrer in Wels, in seinem Referat. Bereits im Mittelalter habe man „Schuldige gesucht“. Selbst der Reformator Martin Luther habe „übelste Aussagen getätigt und Schmähschriften verfasst“. An die „unheilvollen Traditionen des Antijudaismus“ habe Werneck zufolge der Rassismus im 19. Jahrhundert angeknüpft. Umkehr sei wichtig und darüber hinaus ein „zentraler biblischer Begriff“, der die „Hinwendung zu einem lebensbejahenden Gott“ beschreibe. Werneck nannte im Kontext der Umkehr der Evangelischen Kirche in Österreich die Zwei-Wege-Theorie der Reformierten aus dem Jahr 1996: Demnach gehe Gott einen Weg mit Juden und einen mit Christen, die Judenmission werde abgelehnt. „Die Zeit zur Umkehr beginnt mit Bekenntnis der Mitschuld der Kirchen an der Shoah“, bekräftigte Werneck, der von der Lutherischen Europäischen Kommission für Kirche und Judentum (LEKKJ) für seine besonderen Verdienste im internationalen Dialog von Juden und Christen mit dem LEKKJ-Preis ausgezeichnet worden war.

Kritisch befasste sich der Bibelwissenschaftler Hans Förster mit Gerhard Kittel, evangelischer Theologe und Herausgeber des Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament. Das Wörterbuch beinhalte theologisch nicht zulässige Formulierungen, und in Bibelstellen sei bei Übersetzungen der „Sinn umgedreht“ worden. „So wurde aus der Heilszusage eine Unheilszusage“, kritisierte Förster. In neuzeitlichen Übersetzungen seien dadurch etwa jüdische Opfer als Täter bzw. als „Feinde aller Menschen“ dargestellt worden. „Solche Übersetzungsentscheidungen sind etwas, das uns zutiefst berühren muss“, befand der Theologe. Es gebe, wie Förster meinte, noch zahlreiche problematische Bibelstellen im Hinblick auf die Darstellung von Jüdinnen und Juden.

Projekte gegen Antisemitismus und Antijudaismus

Elke Petri, Pfarrerin der Pauluskirche in Wien-Landstraße, berichtete von der Verhüllung offenkundig antisemitischer Fenstergemälde in ihrer Kirche als ein gemeinsam mit Jugendlichen durchgeführtes Projekt. „Manche Bilder sind so verletzend, dass sie einfach ersetzt werden müssen“, zeigte sich Petri überzeugt. Vor allem müsse sich die Kirche „weiterhin mit der eigenen Schuldgeschichte auseinandersetzen“, erklärte Petri. „Eine historische Aufarbeitung bedeutet, sich zunächst zu distanzieren und sich dann etwas Neues anzueignen“, so die Pfarrerin.

Auch die Theologin und Diözesanbeauftragte für den christlich-jüdischen Dialog, Susanne Lechner-Masser, stellte ein Projekt gegen Antisemitismus und Antijudaismus vor. Unter dem Titel „Tehillim / Psalmen in der jüdischen und christlichen religiösen Bildung“ gab sie Einblicke in ein Forschungs- und Bildungsprojekt, das sich der Darstellung von Psalmen in Kinder- und Jugendbüchern widmet. „Wie begegnen wir biblischen Texten, die wir mit Juden / Jüdinnen teilen?“ sei dabei eine der wesentlichen Fragen, um „einen erweiterten Horizont“ zu ermöglichen.

Abschließend unterstrich der römisch-katholische Theologe und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Martin Jäggle, dass die Evangelische Kirche „immer überdurchschnittlich engagiert“ gewesen sei. „In der Unterstützung jüdischen Lebens in Österreich hat sich die Evangelische Kirche sehr verdient gemacht“, sagte Jäggle und nannte als Beispiel das jüdische Schulwesen in Wien. Allerdings gelte es, das jüdische Leben im Land weiterhin zu unterstützen. Denn Umkehr bedeute jüdisch: „Das muss immer wieder geschehen“, so Jäggle.

ISSN 2222-2464

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Schlagworte

Judentum | Antisemitismus

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