01.09.2020

Schnizlein: „Verzeihen ist die Quintessenz des christlichen Glaubens“

Polnischer Film „Corpus Christi“ hinterfragt Verbrechen und Strafe

„Was wir heute sind, sind wir nicht durch Strafe, sondern weil wir es gelernt haben, was gut an uns ist“, sagt Andreas Zembaty vom Bewährungshilfeverein „Neustart“. Im Bild: Der straffällig gewordene Daniel, der sich als Priester ausgibt. Foto: Stadtkino Filmverleih

Polnischer Film „Corpus Christi“ hinterfragt Verbrechen und Strafe

Wien (epdÖ) – Ein junger Mann wird aus der Haft entlassen. Er will seinem Lebenstraum folgen, Priester zu werden – kann das aber wegen seiner Vorstrafe nur, indem er sich als solcher ausgibt: In seinem mehrfach prämierten Spielfim „Corpus Christi“ stellt der polnische Regisseur Jan Komasa die Frage, wer für oder von Gott sprechen darf und wie eine Gesellschaft mit Schuld und Vergebung, Verbrechen und Strafe umgeht (Der Evangelische Pressedienst berichtete vorab). Dem ging eine Podiumsdiskussion im Anschluss an eine Sondervorführung des Streifens am Montag, 31. August, im Wiener Stadtkino nach. Einig zeigten sich die evangelische Pfarrerin Julia Schnizlein und Andreas Zembaty vom Bewährungshilfeverein „Neustart“ im Gespräch mit Moderatorin Julia Preinerstorfer vor allem darüber, dass Täter von Verbrechen nicht nur Strafe, sondern auch Empathie und Zuwendung benötigten: „Zu verzeihen, so wie es Jesus Christus am Kreuz getan hat, ist die Quintessenz des christlichen Glaubens“, betonte Schnizlein und erinnerte daran, dass sich Jesus gerade denen zugewendet habe, die am Rande der Gesellschaft standen: „Auf Sünder zuzugehen ist unser Kernelement.“

Zembaty: „Empathie ist ein Instrument der Veränderung“

Aus der Erfahrung des Bewährungshelfers stimmte Zembaty zu: Auf Verbrecher zuzugehen sei „kein utopischer Anspruch“. Vielmehr sei eine Gesellschaft genau zu dieser Zuwendung verpflichtet: Wenn sie ihre Antwort auf ein Verbrechen auf bloße Strafe reduziere, „wird sie auf fatale Weise mitschuldig sein an weiteren Opfern“. Mehr als die Hälfte aller Täter, die ohne Bewährungshilfe auskommen müssen, würden rückfällig; bei erfolgreicher Beziehungsarbeit in Resozialisierungsprogrammen aber gelinge es bei mehr als zwei Dritteln, Rückfälle über mindestens fünf Jahre zu vermeiden.

In der Bewährungshilfe sei Empathie ein „Instrument der Veränderung“. Damit die Täter jedoch selbst Empathie mit dem Opferleid entwickeln und so in einen Veränderungsprozess eintreten könnten, brauche es erst die Entwicklung von Empathie sich selbst gegenüber. „Was wir heute sind, sind wir nicht durch Strafe, sondern weil wir gelernt haben, was gut an uns ist. Es stellt sich aber oft heraus, dass viele Klienten das nie gelernt haben.“ Zembaty äußerte dabei direkte Kritik an einem Justizsystem, in dem die Frage nach den möglichen Folgen einer Haftstrafe – auch unter einem gesellschaftlichen Sicherheitsaspekt – nicht ausreichend gestellt würde.

Wer darf von Gott sprechen?

Im polnischen römisch-katholischen Kontext von Corpus Christi ist Protagonist Daniel durch seine Haftstrafe von der Aufnahme ins Priesterseminar ausgeschlossen. Angesichts des Erfolgs, den der „falsche Priester“ in seiner Gemeinde verbucht, drängt der Film allerdings die Frage auf, ob es die formale Befugnis des Priesteramts überhaupt braucht, um von Gott zu sprechen. Julia Schnizlein, nach einem Jahr als Pfarramtskandidatin seit 1. September Pfarrerin in der Wiener lutherischen Stadtkirche, rekurrierte in ihrer Antwort auf die evangelische Tradition: „Jeder darf von Gott sprechen, wir brauchen keinen Mittelsmann.“ Durch die Beauftragung Maria von Magdalas durch Jesus nach seiner Auferstehung sowie durch Luthers Lehre vom „Priestertum aller Getauften“ sei für sie klar, dass das ebenso für Frauen gelte. Gleichwohl hätte es nach Luther noch mehr als viereinhalb Jahrhunderte gedauert, ehe ihnen das Pfarramt offen stand. Erst 1980 erfolgte die völlige Gleichstellung mit männlichen Kollegen.

„Corpus Christi“ läuft seit 21. August in den österreichischen Kinos.

ISSN 2222-2464

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