06.11.2022

Letzte Worte

Julia Schnizlein über Grabsteine und tröstende Worte

„Die Wahl des Grabes und die Gestaltung des Grabsteins können Hinterbliebene trösten und bei ihrer Trauerbewältigung helfen“, schreibt Julia Schnizlein. (Foto: pixabay/pexels)

Julia Schnizlein über Grabsteine und tröstende Worte


„Der Tod muss ein Wiener sein.“ – Diese Liedzeile von Georg Kreisler versteht, wer dieser Tage einen Ausflug auf den Zentralfriedhof unternimmt. Auch nach den Feiertagen brennen dort unzählige Kerzen auf Gräbern, Menschen flanieren durch die herbstlichen Alleen oder lassen sich mit dem Fiaker vorbei kutschieren an imposanten Gruften und beeindruckenden Grabsteinen.

Berufsbedingt kenne ich fast alle Friedhöfe in Wien, und ich mag vor allem auch die kleinen gerne. Ich genieße es, nach einer Beerdigung noch über den Friedhof zu spazieren und die Inschriften auf den Grabsteinen zu lesen. „Du mein Liebstes“, hat ein Witwer auf das Grab seiner Frau schreiben lassen – wie berührend! Schön auch der Klassiker aus dem Korintherbrief: „Die Liebe hört niemals auf.“ Gut gefällt mir aber auch einfach: „Auf Wiedersehen!“, denn es drückt genau das aus, worauf Christen hoffen: Das Wiedersehen im ewigen Reich Gottes. Auf unserem eigenen Familiengrab steht ein Zitat des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“.

Die Wahl des Grabes und die Gestaltung des Grabsteins können Hinterbliebene trösten und bei ihrer Trauerbewältigung helfen. Das berühmteste Resultat eines solchen Trauerrituals ist das Taj Mahal, das ein Großmogul im 17. Jahrhundert als bombastisches Grabmal für seine verstorbene Frau erbauen ließ.

Aber natürlich braucht es weder Monumente noch Grabsteine, um der Verstorbenen zu gedenken. Jede und jeder trauert anders, und der Zustand eines Grabes sagt nichts über die Liebe und Verbundenheit zu den Verstorbenen aus. Manche Hinterbliebene meiden den Friedhof gerade deshalb, weil die Trauer zu groß ist. Manche pflegen ihre Erinnerungen lieber an jenen Orten, die sie zu Lebzeiten gemeinsam besucht haben. Andere wiederum zünden bei jeder Gelegenheit eine Kerze in einer Kirche an und fühlen sich dadurch verbunden.

Immer mehr Menschen entscheiden sich auch bewusst gegen ein Grab und lassen sich zum Beispiel in einer kompostierbaren Urne unter einem Baum begraben. Mir gefällt das. Und dazu passt auch eine schöne Grabinschrift vom Jüdischen Friedhof in Berlin: „Sucht mich nicht hier, sucht mich in euren Herzen; habe ich mit da kein Denkmal errichtet, so ist mein Streben vergebens gewesen.“

ISSN 2222-2464

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Schnizlein | Tod

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