03.04.2008

Islamismus in Österreich ist ein Bildungsproblem

Podiumsdiskussion der Evangelischen Akademie Wien

Podiumsdiskussion der Evangelischen Akademie Wien

Wien (epd Ö) – Bei der Sorge über Islamismus in Österreich handelt es sich um ein „Bildungsproblem, das unter dem Label Religion diskutiert wird“. Diese These vertrat der Politikwissenschaftler an der Universität Wien, Thomas Schmidinger, bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Der österreichische Blick auf islamistische Tendenzen – naiv oder realistisch?“ am 2. April in Wien. In der von der Evangelischen Akademie Wien veranstalteten Diskussion erklärte Schmidinger, die Begriffe Islamismus und Terror seien „nebulos“. Es handle sich vielmehr um eine „religiöse Aufladung der politischen Sphäre“, wobei Terrorismus und Djihadismus lediglich eine Spielart seien. Die in den letzten Jahren angewachsene Ideologisierung in machen islamischen Ländern habe zu tun mit den dortigen sozialen und politischen Verhältnissen. Es gehe dabei letztlich um eine Alternative gegenüber einem wild wuchernden Kapitalismus.

Wenn Österreich bis heute von terroristischen Attacken verschont geblieben sei, liege das, so Schmidinger, an der „Bedeutungslosigkeit des Landes“, obwohl nicht auszuschließen sei, dass kleine Gruppen in Österreich Anschläge durchführen könnten. Das Problem liege in der ideologischen Ausrichtung einiger Gruppen im österreichischen Islam, die derartige Aktivitäten begünstige.

In Österreich kaum radikale Tendenzen

„Wir haben keine Ahnung, wie Muslime leben“, kritisierte der Journalist Hans Rauscher bei der Podiumsdiskussion. Auch Rauscher räumte ein, radikale Tendenzen seien in Österreich „nicht wahnsinnig ausgeprägt“, die islamische Glaubensgemeinschaft sei aber „stark ausdifferenziert“. Es gebe Zwangsheiraten und Ähnliches. „Damit müssen wir uns möglichst objektiv und wertfrei auseinandersetzen“, forderte der Journalist. Insbesondere im Bildungsbereich müsse man „Geld in die Hand nehmen“. Rauscher: „Es ist eines der ganz großen Probleme dieser österreichischen Regierung, dass sie hier überhaupt nichts macht.“ In Zukunft werde das zur Bildung eines „Subproletariats“ führen.

Eine „kulturelle Kluft“ sieht Rauscher in der fortgeschrittenen Säkularisierung in Europa, während sich Muslime stärker über die Religion definierten. Insgesamt erkannte Rauscher an, dass Österreich im offiziellen Umgang mit dem Islam den „guten Weg“ des Ausgleichs gefunden habe. Es bestehe die Chance, „sich in Richtung eines Islam vorzutasten, der mit der liberalen Demokratie vereinbar ist“.

Soziale Dimension ausgeblendet

Dass die soziale Dimension in der Diskussion um den Islam in Österreich ausgeblendet werde, bemängelte der Islamwissenschaftler an der Universität Wien, Mouhannad Khorchide. Bei den Muslimen handle es sich um Arbeitsemigranten der zweiten Generation. „Soziale Herausforderungen sollten als solche gesehen werden“, forderte Khorchide, der jedoch hervorhob, in Österreich herrsche den Muslimen gegenüber ein „gesundes Klima“.

Bei der Diskussion, an der sich auch Vertreter der Islamischen Glaubensgemeinschaft beteiligten, zeigte sich der auch als Imam tätige Islamwissenschaftler „optimistisch“, dass von Europa eine „innerislamische Aufklärung“ ausgehen könne. So sei man auch bei einer historisch-kritischen Koranexegese „auf einem guten Weg“. Khorchide setzt seine Hoffnung insbesondere auf zahlreiche junge Muslime, bei denen bereits jetzt neue Denkweisen herrschten.

Die grundsätzlich andere Situation in den USA

Auf die völlig anders geartete Situation der muslimischen Einwanderer in den USA verwies der Botschaftsrat für politische und wirtschaftliche Angelegenheiten der US-Botschaft in Wien, J. Dean Yap. Auf Grund einer Einwanderpolitik, die auf ausgesuchte Fachkräfte ziele, seien die Muslime in den Staaten sozial und wirtschaftlich besser integriert als in Europa. Zwar sei nach dem 11. September ihre Akzeptanz in der Bevölkerung gesunken, dennoch sei ihre Selbstidentifikation mit den USA groß, und die Regierung bemühe sich um sie. Die muslimischen Einwanderer in Europa brächten dagegen große soziale Probleme mit und stammten aus anderen sozialen Schichten.

Hindernisse des EU-Beitritts der Türkei

Zur Frage eines EU-Beitritts der Türkei äußerten die Journalisten Dr. Peter Pawlowsky, der die Diskussion leitete, und Hans Rauscher starke Skepsis. Beitrittshinderns seien der „übersteigerte türkische Nationalismus“, verbunden mit einem gesellschaftlichen Selbstverständnis, das, so Rauscher, „keine Ansätze zur Selbstkritik“ zeige. Demgegenüber verwies der Politologe Schmidinger auf wachsende demokratische Strukturen insbesondere in den türkischen Städten. Nach Schmidinger liegt die österreichische Gegnerschaft gegenüber einem EU-Beitritt der Türkei nicht an den autoritären Strukturen der kemalistischen Staatsauffassung, sondern an einem Ressentiment gegenüber der türkischen Bevölkerung. Es werde befürchtet: „Dann kommen noch mehr her.“

ISSN 2222-2464

Diesen Beitrag teilen

Newsletter abonnieren

Der Newsletter von evang.at mit den wichtigsten Nachrichten des Evangelischen Pressedienstes (epd) ist kostenlos und erscheint in der Regel einmal pro Woche am Mittwoch.