07.05.2023

Gedenken

Maria Katharina Moser blickt erschüttert auf die Gräueltaten im Frühjahr 1945 zurück

„Was konnte es einem Volkssturmmann ausmachen, wenn jemand den Häftlingen ein Stück Brot gab?“, fragt sich Maria Katharina angesichts der Gräuel in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges.(Foto: epd/Trojan)

Maria Katharina Moser blickt erschüttert auf die Gräueltaten im Frühjahr 1945 zurück

„Die Verrohung des Volkes ist weit fortgeschritten. Höchste Zeit, dass der Krieg aufhört“, schreibt Stiftspfarrer Alois Nikolussi am 16. April 1945 in der Pfarrchronik von St. Florian. Es sollte noch drei Wochen dauern. Am 8. Mai besiegelte die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht das Ende des Zweiten Weltkriegs. Drei Tage zuvor, am 5. Mai, traf ein Spähtrupp der US-Armee in Mauthausen und Gusen ein, am nächsten Tag befreite die US-Army etwa 40.000 Gefangene. Am heutigen Sonntag wird dessen bei der internationalen Befreiungsfeier in Mauthausen gedacht.

In den Wochen vor Kriegsende wurden 22.000 Juden von Mauthausen ins 55 km entfernte Außenlager Gunskirchen getrieben. „Der Zug des Elends war ein Fanal des Grauens. Wir alle müssen uns schämen“, schreibt Pfarrer Nikolussi weiter über diese Todesmärsche, deren Zeuge er wurde. Eine andere Zeugin, Leopoldine G., 1945 ein siebenjähriges Mädchen, berichtet: „Die haben sich mehr oder weniger geschleppt, wurden getrieben, gestoßen. Manche vor dem Geschäft haben versucht, Brot rauszugeben. Die Aufpasser haben sofort mit Maschinenpistolen und Gewehrkolben dreingeschlagen und die Leute angetrieben. Da war nur Hunger und Elend und dann darf man nicht einmal was geben. Die Leute haben nur noch Fetzen angehabt, die sind drangehängt an den Skeletten. Weiter am Zabernberg waren Lacken, wir haben Froschteiche dazu gesagt. Da wollten ein paar trinken, da hat man gleich hineingeknallt. Wir haben die Schüsse gehört. Man kann es nicht fassen, dass man wen so traktiert, bis zum Umfallen, beziehungsweise wenn du nicht mehr kannst, kriegst du eine Kugel.“

Mich erschüttert die Alltäglichkeit der Gräuel. Tagelang sich dahinschleppen durch Dörfer und Ortschaften, auch des Nachts unter freiem Himmel, unvorstellbare hygienische Zustände, keine Nahrung, nicht die geringste Spur von Sorge – all das wurde nie gerichtlich behandelt. Was konnte es einem Volkssturmmann ausmachen, wenn jemand den Häftlingen ein Stück Brot gab? Was geht in einem Bewacher vor, der 60 Liter Erdäpfelschmarrn lieber an Schweine verfüttert, als den Häftlingen zu essen zu geben? Das lässt sich nicht mit Befehlsnotstand erklären.

Das Hungernlassen stand am Anfang des Mordens. Jegliche Sorge zu verweigern, hat bedeutet, die Juden nicht als Menschen zu sehen. Wo Sorge verweigert wird, ist die Verrohung des Volkes weit fortgeschritten. Es geht um reale Taten und reale Verantwortlichkeiten, damals wie heute. Der Blick auf die realen Taten damals ruft in die Verantwortung für eine humane Gegenwart und Zukunft.

ISSN 2222-2464

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