17.11.2011

Bischof Bünker: „Politik ist keine Wahrheitsinstanz“

Diskussion über den Nutzen von Religion in einer säkularisierten Welt

Diskussion anlässlich 60 Jahre "Jüdisches Echo" mit Marta S. Halpert, Muharema Seferovic, Markus Veinfurtner (ORF), Michael Bünker und Konrad Paul Liessmann (v.l.n.r.)

Diskussion über den Nutzen von Religion in einer säkularisierten Welt

Wien (epdÖ) – „Religion heute. Wozu? Glauben in einer säkularisierten Welt“ – unter diesem Motto stand die Jubiläumsfeier zu 60 Jahre „Das Jüdische Echo“ am Mittwoch, 16. November, im „Studio 3“ des ORF-Funkhauses in Wien. Nach einem kurzen historischen Abriss der vergangenen sechs Jahrzehnte diskutierten VertreterInnen aus Religion, Journalismus und Philosophie über das Spannungsverhältnis von Glaube, Religion und Säkularisierung.

Die These, wonach in fortschrittlichen Gesellschaften die Religion immer mehr an Bedeutung verliere, habe sich als falsch herausgestellt, betonte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker bei der Podiumsdiskussion. Er räumte aber gleichzeitig ein, dass Mitgliedschaften in Kirchen immer unwichtiger würden und viele eine kritische Distanz zur Institution selbst hätten. „Der überwiegende Teil der Menschen in Europa versteht sich als religiös. Das heißt aber nicht automatisch Mitgliedschaft in einer Kirche.“

Über das Zusammenspiel von Politik und Religion sagte Bünker, dass in einer säkularisierten Welt die Kirche zwar keine Politik mehr mache, diese aber teilweise ermögliche, da sich Christinnen und Christen bewusst als Mitglieder einer Kirche in den politischen Diskurs einbrächten. Höchst problematisch sei es aus Sicht des Bischofs aber, wenn sich die Politik religiöser Inhalte bediene. Religion müsse sich politischer Machtgelüste enthalten, aber die Politik daran erinnern, dass sie nicht über wahr und unwahr entscheiden soll und kann. „Politik ist keine Wahrheitsinstanz! Ihre Aufgabe ist es, für Frieden zu sorgen“, resümierte Bünker.

Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann hob hervor, dass der Begriff der Säkularisierung positiv konnotiert sei. Dahinter stecke die Kritik an einem verweltlichten Glauben beziehungsweise Religion. Die Frage, wer die größere Macht habe – Kirche oder Staat – sei bis zur Zeit Napoleons bestimmend für die Geschichte Europas gewesen. Die Säkularisierung als Erbe der Aufklärung sei Voraussetzung für einen Pluralismus der Religionen. Für Liessmann ist es jetzt spannend, welche Konzepte nach dem Rückzug von Religion und Glaube ans Tageslicht kommen. Dass etwa Marktgläubigkeit als eine Form von Religion angesehen werde, ist laut Liessmann schlichtweg falsch, da es ihnen an der Transzendenz mangle. „Das sind keine Religionen. Es können Dinge von Religionen übernommen werden, aber das Entscheidende fehlt ihnen. Auch Märkte versprechen keine Ewigkeit. Steve Jobs ist gestorben und nicht auferstanden!“ Liessmann selbst ist nicht religiös, wie er offen bekannte. „Ich glaube zwar an keinen Gott, aber der Gott, an den ich nicht glaube, ist ein protestantischer“, sagte er in Richtung von Bischof Bünker.

Marta S. Halpert, Chefredakteurin des „Jüdischen Echo“ betonte, dass ihr auch in einer säkularisierten Welt das Festhalten an der jüdischen Identität wichtig sei. Jude sein bedeute aber nicht nur, Teil einer Religionsgemeinschaft zu sein, sondern auch eine Volkszugehörigkeit. „Die Verwobenheit von Religion und Schicksalsgemeinschaft ist nicht zu trennen“, so Halpert. Sie sei jedenfalls bereits zuhause dahingehend geprägt worden, eine selbstbewusste Jüdin zu sein. Von ihren persönlichen und teils traumatischen Erfahrungen erzählte Muharema Seferovic von der „Initiative Liberaler Muslime in Österreich“. Sie habe in Bosnien Verfolgung und Gewalt aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit erfahren müssen. Dies konnte nur passieren, weil die Menschen nicht an Gott glaubten, ist Seferovic überzeugt. Erst in den vergangenen Jahren sei sie selber zu einer praktizierenden Muslima geworden. „Wenn ich meine Religion nicht akzeptiere, warum sollten dann andere dies tun?“, fragte Seferovic. „Wenn ich meine Religion akzeptiere, dann akzeptiere ich auch andere Religionen.“

Die einmal jährlich erscheinende Zeitschrift „Das Jüdische Echo“ wurde 1951 vom damals 23-jährigen Leon Zelman gemeinsam mit der jüdischen Hochschülerschaft gegründet. Heute ist es eine renommierte Zeitschrift für Politik und Kultur, herausgegeben vom Falter Verlag. Das Jüdische sei nach wie vor Ausgangspunkt der journalistischen Arbeit, aber die Bandbreite des aktuellen Heftes sei „so groß wie nie“. Zum Thema Religion sei es der jüdischen Zeitung gelungen, auch namhafte muslimische Autorinnen und Autoren zu gewinnen. Dafür sei man „sehr dankbar“, sagte Chefredakteurin Halpert.

Nähere Informationen zu „Das Jüdische Echo“ finden Sie unter www.juedischesecho.at

ISSN 2222-2464

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