10.11.2023

„Wachhalten der Erinnerung“ an Pogrome

Ökumenischer Gottesdienst in Wiener Ruprechtskirche

Im Anschluss an den ökumenischen Gottesdienst entzündeten die Teilnehmenden beim Mahnmal auf dem Judenplatz Kerzen als Zeichen des Gedenkens. (Foto: epd / M. Uschmann)

Ökumenischer Gottesdienst in Wiener Ruprechtskirche

Wien (epdÖ) – Im Rahmen der „Bedenktag“-Reihe „Mechaye Hametim – der die Toten auferweckt“ fand am Donnerstag, 9. November, ein zentraler ökumenischer Gottesdienst in der Ruprechtskirche in der Wiener Innenstadt statt.

Dabei erinnerten der evangelische Pfarrer Stefan Fleischner-Janits und der Rektor der Ruprechtskirchen, P. Alois Riedlsperger, an die Ereignisse der Nacht vom 9. auf 10. November 1938. Damals wurden im gesamten deutschen Machtbereich im Zuge des Nazi-Terrors Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet, in den Selbstmord getrieben oder verletzt.

Der Generalvikar der Erzdiözese Wien, Nikolaus Krasa, mahnte bei der ökumenischen Feier die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Judenverfolgungen der Geschichte und Gegenwart ein. Er stelle sich angesichts der grausamen Ereignisse vom November 1938 die Frage, „ob das Geschehen je adäquat in Worte gebracht werden kann“, betonte der Wiener Generalvikar. Bisweilen erscheine es klüger, sich den Ereignissen schweigend zu stellen und sie auszuhalten, wie dies auch das alttestamentliche Buch Hiob vorschlage. Dennoch zeigten die jüngsten Ereignisse auf, „wie wichtig es ist, immer wieder das Geschehen in all seiner Grausamkeit zu thematisieren, es zu besprechen, sich daran zu reiben, es bewusst zu machen und wach zu halten – damit es vielleicht doch nicht wieder passiert“, so Krasa.

Allein in Wien, wo ein Fünftel der insgesamt an diesem Tag verzeichneten jüdischen Todesopfer zu beklagen waren, wurden damals insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt.

Bei dem Gedenkgottesdienst wurden auch die Gräueltaten der Terrormiliz Hamas, die am 7. Oktober im Süden Israels ein Massaker verübte und Geiseln nahm, sowie die Folgen dieser Taten thematisiert. Der Antisemitismus sei seither in vielen Ländern sprungartig angestiegen, mit Davidstern-Markierungen jüdischer Einrichtungen in europäischen Großstädten, einer Explosion von Gewalttaten und einer Vervielfachung von Äußerungen des Judenhasses in Sozialen Netzwerken. Auch in Wien habe es einen Brandanschlag auf dem jüdischen Teil des Zentralfriedhofes gegeben.

Schweigen keine Option

Anstelle eine Bitte an die „für alles Menschliche tauben“ Hamas-Anhänger um Freilassung der israelischen Geiseln zu richten, gelte es jetzt, „sich an alle zu wenden, die ‚Nie wieder‘ gesagt haben“, hieß es in einem bei der Gedenkfeier vorgetragenem Text. Niemand dürfe den neuen Antisemitismus schweigend hinnehmen, denn: „Wer jetzt schweigt, soll keine Sonntagsreden mehr halten und keine Gedenksteine mehr putzen.“

Die Gläubigen beteten im Rahmen des Gottesdienstes auch für eine Geisel-Befreiung und ein Ende der Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Nach dem Gottesdienst fand ein Schweigegang zum Mahnmal am Judenplatz statt.

Österreichweit haben dieser Tage Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen der Novemberpogrome gegen die jüdische Bevölkerung vor 85 Jahren gedacht. „Mechaye Hametim“ ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe von Albert-Schweitzer-Haus – Forum für Zivilgesellschaft, der Evangelischen Hochschulgemeinde Wien, der Gemeinde St. Ruprecht, der Wochenzeitung „Die Furche“, vom Forum Zeit und Glaube – Katholischer Akademiker/innenverband der Erzdiözese Wien, der Katholischen Aktion Österreich, der Katholischen Hochschuljugend Wien, des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Theologischen Kurse.

 

ISSN 2222-2464

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Schlagworte

Judentum | Pogromgedenken

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