06.07.2016

Otoo: „Religion lebt von Erzählungen“

Bachmannpreisträgerin Sharon Dodua Otoo im Gespräch

Sharon Dodua Otoo hat den Bachmannpreis 2016 gewonnen. (Foto: W. Pobaschnig)

Bachmannpreisträgerin Sharon Dodua Otoo im Gespräch

Klagenfurt (epdÖ) – Die seit 2006 in Berlin lebende Britin Otoo überzeugte beim diesjährigen Wettlesen in Klagenfurt mit ihrem satirischen Text „Herr Göttrup setzt sich hin“, der in kafkaeskem Perspektivenwechsel und sprachlicher Leichtigkeit das psychologisch-existentielle Emotionsprekariat eines Ehealltags thematisiert. Ein weich gekochtes Ei wird zum Stein des Anstoßes in der Säulenhalle des familiären Rollenspiels der Wiederholung. Der Text, der von der Britin erstmals in deutscher Sprache verfasst wurde und Teil eines Romanprojektes ist, überzeugte Publikum und Jury beim 40. Bachmannpreis.

Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst betont die Autorin die Chance der Literatur, an einem „sicheren Ort kleine und große Themen ansprechen zu können“. Sie selbst begann bereits als kleines Mädchen zu schreiben, „um mich mit Themen auseinanderzusetzen, die mir wichtig waren“. Schreiben und Lesen wurden zu ständigen Begleitern im Heranwachsen, und Autoren wie Brecht, Dürrenmatt oder Frisch beeinflussten sie. Ein besonders Vorbild ist die US-Amerikanerin Toni Morrison. Otoo erzählt dazu: „Ich hatte in frühen Schreibjahren die Idee, so viele Bücher über schwarze Frauen zu schreiben wie es sie über weiße Männer gibt“.

Besondere Bedeutung hat für Otoo auch das Engagement gegen Diskriminierung und Sexismus. Sie selbst ist in der RAA Berlin („Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie“) tätig. Der Brexit wie der „Rechtsruck“ in Europa bereite ihr Sorgen. „Bei der Debatte über den EU-Austritt wurde viel Plakatives, Vordergründiges von Politikern erzählt, die den Brexit pushten. Es ging nicht um die Fakten der ökonomischen und gesellschaftlichen Krisensituationen, etwa der Arbeitsverhältnisse oder der Bildung. Es wurde vermittelt, dass ohne Europa auch unsere Probleme gelöst sind und diese einfach nicht mehr existieren. Das muss sich jetzt ändern. Menschen müssen erkennen, wo die Probleme wirklich liegen.“ Sehr kritisch sieht Otoo auch die Migrationsdebatte: „Es kann nicht sein, dass wir für die vielfältigen Probleme einer Gesellschaft die geflüchteten Menschen verantwortlich machen. Wir brauchen jetzt eine ehrliche Politik, die sagt, das sind die Probleme und die gilt es zu lösen. Es muss rasch passieren, denn die rassistischen Übergriffe nehmen zu.“

Religion hat für Otoo, die aus einem protestantischen familiären Umfeld (Church of England, Methodists) stammt, eine starke „prägende Wirkung“ gehabt. „Religion lebt auch viel von Erzählungen und dem sozialen Zusammenkommen im Mitteilen und Ausdrücken. Bestimmt gibt es auch biblische Motive in meinen Texten“. Sie selbst sieht sich zwar jetzt in „wohlwollender Distanz“ zu Religion, versteht aber die oft „massive ablehnende Kritik“ an religiöser Weltanschauung und Lebensgestaltung nicht: „Ich wundere mich, warum die Leute so kritisch gegenüber Religion sind“.

Der Bachmannpreis ist nach der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, die aus einer protestantischen Familie stammte, benannt und einer der bedeutendsten Literaturpreise im deutschen Sprachraum.

ISSN 2222-2464

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