24.09.2009

Gefangenenseelsorger fordern Paradigmenwechsel im Strafrecht

Internationaler Kongress tagte in Wien - Geist: Lange Haftstrafen kontraproduktiv

Internationaler Kongress tagte in Wien – Geist: Lange Haftstrafen kontraproduktiv

Wien (epd Ö) – „Es gibt genügend zivilgesellschaftlichen Mut und Verantwortung, auch in Österreich gegen ein allzu restriktives Strafrecht vorzugehen“, zeigte sich der evangelische Gefangenenseelsorger Matthias Geist am Ende des internationalen Kongresses „Das Menschenbild im Strafrecht“ überzeugt. Auf Initiative des Theologen befassten sich in Wien von Montag, 21. , bis Donnerstag, 24. September, Gefangenenseelsorger verschiedener Kirchen aus 12 Nationen mit dem Strafrecht unter dem Anspruch christlicher Sozialethik.
Klar sprachen sich die Teilnehmer gegen ein „überholtes, vergangenheitsorientiertes Vergeltungs- und Rachedenken“ im Strafrecht aus. „Unser Menschenbild sieht den Menschen als freies Subjekt in Verantwortung und mit dem ungeteilten Recht auf Selbstbestimmung und Zukunftsorientierung“, so Geist bei der Abschlusspressekonferenz am Donnerstag. „Wir müssen weg von teurer Sicherheit und Administration hin zu Fairness und Betreuung“, forderte Geist. Die „totale Institution des Gefängnisses“ mit seiner Fremdbestimmung und Gewalt entspreche „weder unserem Welt- und Menschenbild“ noch sei sie „zeitgemäß oder wirtschaftlich vertretbar“.
Ändern soll sich nach den Vorstellungen der Gefangenenseelsorger die Haftsituation: Besuchsrechte sollen etwa ausgeweitet, sinnvolle Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten „als Recht eines jeden Gefangenen“ eröffnet werden. Dazu brauche es mehr personelle Ressourcen, veränderte Dienstpläne, insgesamt sollten „zeitgemäße Gefängnisstrukturen“ geschaffen werden.

Gefangene wie Objekte und Waren behandelt

Gemeinsam kritisieren die Gefangenenseelsorger, dass Marktinteressen die gesellschaftliche Meinung über Gefangene bestimmen und diese „wie Objekte und Waren“ behandelt würden. Lange Haftstrafen schaden, so die Teilnehmer des Kongresses, „nicht nur den Gefangenen und Angehörigen, sondern auch der Gesellschaft insgesamt“. Ein „visionärer und kritischer“ Zugang zum Strafrecht fehle in Österreich überhaupt. Dazu soll künftig ein neues Institut für Strafrechtsethik beitragen, das diesen Anliegen eine ständige Plattform geben will. Wo dieses Institut angesiedelt sein soll, ist noch nicht geklärt, Geist kann sich dieses auch „im Umfeld der Kirche“ vorstellen.
Vor allem im Bereich der psychiatrischen Betreuung orten die Gefangenenseelsorger dringenden Handlungsbedarf. Der Begriff des „geistig abnormen Rechtsbrechers“ gehöre endgültig abgeschafft, es brauche „andere Anhalteformen“ für psychisch belastete Menschen. Notwendig sei eine wirksame Kontrolle des Gutachterwesens ebenso wie neue betreute Einrichtungen nach der Entlassung. Mehr Kontrolle wollen die Gefangenenseelsorger bei den Gerichtsvorgängen, aber auch bei der medialen Berichterstattung, das derzeitige Medienrecht sei „zu schwach“. Gerichtsverfahren sollten audiovisuell aufgezeichnet werden, die Möglichkeit der elektronischen Fußfesseln ausgeweitet, Haftstrafen, vor allem unbedingte, verkürzt, und Ombudsschaften statt der gewohnten Beschwerdewege eingesetzt werden.

Geringfügige Eigentumsdelikte entkriminalisieren

Dass gerade bei geringfügigen Eigentumsdelikten wie Ladendiebstählen „völlig unnötig Polizei und Staatsanwälte beschäftigt“ würden, kritisierte Richard Soyer, Professor für Strafrecht in Graz und Sprecher der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen. Soyer wies auch auf den stark gestiegenen Einfluss der EU im Bereich des Strafrechts hin. Bisher zielten die Aktivitäten vor allem auf eine Stärkung polizeilicher und justizbehördlicher Kooperation.
Der deutsche Gefangenenseelsorger Tobias Müller-Monning hält Gefängnisse für nicht mehr zeitgemäß, es brauche alternative Sanktionsformen, den Weg hin zu „Ausgleich, Versöhnung und Heilung“. Für eine solche „Restorative Justice“ tritt auch die International Prison Chaplains‘ Associaton (IPCA) ein, die den Wiener Kongress mitveranstaltete. Als ökumenische Organisation und „unabhängige Stimme“ trete sie für „Menschenwürde und Gerechtigkeit für alle“ ein, betonte IPCA-Vorsitzender Alan Ogler in Wien.

ISSN 2222-2464

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