29.11.2020

„Wir werden es verschmerzen“

Julia Schnizlein über einen einsamen Ersten Advent

"So vieles ist heuer anders. Viele von uns sitzen zu Hause. Einsam und isoliert, genervt und ratlos oder rastlos und angespannt zwischen Homework und Homeschooling." Foto: piqsels

Julia Schnizlein über einen einsamen Ersten Advent

„Wir sagen euch an, den lieben Advent, siehe die erste Kerze brennt…“ Es lag bisher außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass wir dieses Lied am 1. Advent, einmal nicht gemeinsam singen würden. In der Kirche. Voll Inbrunst und Vorfreude. Die erste Kerze des riesigen Adventkranzes, den wir vorher liebevoll im Altarraum drapiert und dekoriert hätten, wäre traditionell von einem Kind aus der Gemeinde entzündet worden. Die Vorweihnachtszeit mit all ihrem Zauber, ihren liebgewonnenen Ritualen inklusive aller Stressfaktoren wäre offiziell eröffnet.

Aber wie so vieles ist es heuer anders. Viele von uns sitzen zu Hause. Einsam und isoliert, genervt und ratlos oder rastlos und angespannt zwischen Homework und Homeschooling. „Vieles ist nicht schön in diesem Jahr, aber wir werden es verschmerzen“, meinte neulich ein schon älteres Gemeindemitglied im Telefonat.

„Wir werden es verschmerzen.“ Diesen Gedanken finde ich schön. „Verschmerzen“ – dieses Wort gesteht immerhin zu, dass ein Schmerz da ist. Da sein darf.
Aber es wird eine Zeit geben, da wird dieser Schmerz – dieser Frust, dieses Unverständnis, diese Ohnmacht – „verschmerzt“ sein.
Wir werden den Schmerz bewältigt, uns mit ihm versöhnt haben. Er wird ein Ende haben.

Genau das bedeutet ja auch Advent: Die Hoffnung, dass die Nacht ein Ende hat. Dass Gott in die Welt kommt, allem, was dagegen spricht, zum Trotz.
Advent – die Zeit der Hoffnung. Daran möchte ich heute denken, wenn ich die erste Kerze des Adventkranzes anzünde. Kerzen haben ja generell etwas Tröstliches. Etwas Seelsorgerliches. Sie tauchen die Welt in ein anderes, ein warmes Licht. Sie stellen keinen bloß, sondern schmeicheln.
Kerzen laden ein zur Meditation. Nicht nur im Christentum, auch in anderen Religionen stehen brennende Kerzen oft für stille Gebete: Für eine Klage, eine Bitte, einen Dank.

In diesem besonderen und anderen Advent haben wir vielleicht sogar einmal die Chance, uns die Zeit nehmen, die Kerzen zu beobachten und solche Gebete zu formulieren. Ein Gebet für jede Kerze des Adventkranzes. Damit es heller und wärmer wird – und wir diese Zeit auf unsere je eigene Art verschmerzen werden.

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@juliandthechurch

ISSN 2222-2464

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