04.09.2013

Winterberg: „Vielfalt in Gesellschaft ist Bereicherung“

PfarrerInnen-Tagung im Zeichen des Diakoniejahrs

Community Organizing sieht "die zivile Gesellschaft als den ursprünglichen Ort des gemeinsamen, öffentlichen Handelns und als gründlegend für die Demokratie", erklärte die freie Publizistin und Community Organizerin Sony Winterberg. Foto: Sturm/pixelio.de

PfarrerInnen-Tagung im Zeichen des Diakoniejahrs

Mürzzuschlag (epdÖ) – Mit dem Thema „Community Organizing“ (CO) – einem Ansatz der Gemeinwesenarbeit, der auf einer breiten gesellschaftlichen Basis Menschen zum gemeinsamen Handeln befähigen will – beschäftigte sich die freie Publizistin und Community Organizerin Sonya Winterberg (Dresden) am 28. August in einem Impulsreferat bei der diesjährigen gesamtösterreichischen PfarrerInnen-Tagung in Mürzzuschlag. Community Organizing hat seinen Ursprung in den USA und ist seit 2000 auch in Deutschland durch den New Yorker Priester Leo J. Penta und dem Deutschen Institut für Community Organizing (DICO) an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin etabliert. In den Jahren 2007/08 begleitete Sonya Winterberg die erste Berliner Bürgerplattform „Menschen verändern ihren Kiez – Organizing Schöneweide“ als Community Organizerin.

Laut Winterberg sind die Hauptfragen des Community Organizing: „Was treibt uns um? Wie werden unterschiedliche Menschen/Gruppen/Organisationen/Institutionen gemeinsam handlungsfähig im öffentlichen Raum? Wie kann Demokratie so gelebt werden, dass Menschen sich wieder machtvoll fühlen anstatt ohnmächtig, was selbstzerstörerische Folgen haben kann?“

Community Organizing sehe „die zivile Gesellschaft als den ursprünglichen Ort des gemeinsamen, öffentlichen Handelns und als grundlegend für die Demokratie“ an und begrüße „die Vielfalt in einer Gesellschaft als Bereicherung“. CO setze auf Respekt und Vertrauen als Grundelemente des Zusammenlebens: „CO baut im Wesentlichen auf das Gespräch und den Aufbau von tragfähigen Beziehungen“. Außerdem gehe Comunity Organizing davon aus, dass eine handlungsfähige Zivilgesellschaft nicht spontan entstehe, sie müsse wie Alexis de Toquville schon 1835 feststellte, aktiv „organisiert“ oder konstruiert werden, da es selten vorkomme, „dass ein gleiches Anliegen von Natur aus eine große Zahl von Menschen zu gemeinsamem Handeln treibt“.

Daher wird die Ausbildung zu Community Organizern – interessanterweise bisher in Deutschland nur kirchlicherseits – angeboten. Die Organizer sollen mithelfen, dass aus den ganz unterschiedlichen Communitys an einem Ort, einem Bezirk oder etwa einer Region ein gemeinsames handlungsfähiges „Wir“ entsteht, das der Wirtschaft und dem Staat auf Augenhöhe entgegentritt und solidaritätsstiftende Arbeit im Gemeinwesen möglich wird.

Auf die Frage, warum der Community-Organizing-Ansatz in der Gemeindearbeit wichtig sei, antwortete Winterberg, dass ihrer Meinung nach nur so die öffentliche und politische Komponente der karitativen Arbeit und persönlichen Seelsorge verwirklicht werden könne. Zudem ermögliche dieser Ansatz, dass Menschen, die am Rand stehen, besser eingebunden werden können.

Die Aufgabe eines Community Organizers sei es, in den ersten Monaten seiner Tätigkeit möglichst viele Menschen in einem Problemumfeld kennenzulernen, Beziehungen mit ihnen in zahlreichen Einzelgesprächen aufzubauen und herauszubekommen, weshalb die unterschiedlichsten Individuen und Gruppen in ihrer Umgebung unzufrieden sind. Häufig würden bei aller Verschiedenheit der Personen Übereinstimmungen zu finden sein und dieselben Dinge genannt werden. So stellte sich in einem Kiez in Berlin nach zahlreichen sogenannten „aufsuchenden Beziehungen“ heraus, dass eine große Mehrheit ganz besonders unter der Wartezeit und den Bedingungen bei der Arbeitsagentur vor Ort litt. Der gemeinsam organisierte Protest führte schließlich zur Möglichkeit der Online-Anmeldung beziehungsweise der telefonischen Terminvereinbarung. Es seien die kleinen oft banal wirkenden Schritte, mit denen Menschen Veränderung bewirken und sich so oft erstmals als machtvoll erleben können, ist Sonya Winterberg überzeugt.

In der anschließenden Diskussionsrunde stellte Bischof Michael Bünker die provozierende Frage, ob die Energie für diakonische Arbeit in den Pfarrgemeinden nicht häufig von den eigenen internen Problemen aufgesogen und irgendwo in „schwarzen Löchern“ verschwinden würde. Bei der Auswahl der Filme zum Thema „Bürgerbewegung“ stellte der Sozialexperte und stellvertretende Direktor der Diakonie Österreich, Martin Schenk,  die Methode des „Systemischen Konsensierens“ vor, die auch für Gruppen mit zivilgesellschaftlichen Anliegen in Gesellschaft, Politik und Kirche gut verwendet werden könne. In der abschließenden von Bischof Bünker moderierten Diskussion am Donnerstag, 29. August, mit Community Organizerin Sonya Winterberg, Oberkirchenrat Karl Schiefermair und Martin Schenk ging es noch einmal um die Bedeutung der Gemeinwesenarbeit für die evangelischen Pfarrgemeinden.

Die diesjährige gesamtösterreichische PfarrerInnen-Tagung ging mit einem Familiengottesdienst in der renovierten Heilandskirche von Mürzzuschlag zu Ende. Die Predigt hielt Sonya Winterberg zum biblischen Motto des Diakonie-Schwerpunktjahres „…dass es zu einem Ausgleich komme“ (2. Kor. 8).

ISSN 2222-2464

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