19.11.2924

Wien: Interreligiöse Enquete beleuchtete kooperative Modelle im Religionsunterricht

Gesellschaftlicher Mehrwert und Demokratiebildung statt Vorurteile und Stereotype

Kooperative Unterrichtsformen stärken das Miteinander, waren sich die Teilnehmenden der Enquete einig. (Foto: Erzdiözese Wien/Stephan Schönlaub)

Gesellschaftlicher Mehrwert und Demokratiebildung statt Vorurteile und Stereotype

Wien (epdÖ) – Chancen und Grenzen der Zusammenarbeit der verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften beim Religionsunterricht standen im Fokus einer Enquete am Montagnachmittag, 18. November, im Wiener Rathaus. Kooperative Unterrichtsformen bringen einen gesellschaftlichen Mehrwert, sorgen für mehr Wissen voneinander, stärken Toleranz, Respekt und Wertschätzung des anderen und wirken Vorurteilen und Stereotypen entgegen – so der Tenor der Enquete, die die Schulämter aus neun Kirchen und Religionsgemeinschaften gemeinsam vorbereitet hatten.

Mehrere Erfolgsbeispiele für konfessionell kooperativen Religionsunterricht wurden präsentiert, etwa das Friedensprojekt „optimis-TISCH“, das vor einem Jahr nach dem Hamas-Terrorangriff auf Israel gestartet wurde. Religionslehrkräfte hatten an verschiedenen Schulen in ganz Wien Tischaktionen initiiert, um „gelebte Vielfalt zu stärken“ und dabei „Bilder und Zeichen der Hoffnung, Zuversicht, Solidarität und Haltung“ zu schaffen, berichteten Andreas Niedermayr vom Erzbischöflichen Amt für Schule und Bildung sowie die Leiterin des Islamischen Schulamts, Amina Baghajati. Dank schon bestehender interreligiöser Zusammenarbeit gelinge die phasenweise intensive Kooperation, wobei das Projekt durchaus ein „Sprungbrett für weitere Kooperationsmodelle“ sein könne, so die beiden Bildungsbeauftragten.

Kulturelle und religiöse Bereicherung

Schon seit 2016 kooperieren die christlichen Religionslehrkräfte an der Katholischen Privatschule Sta. Christiana in Wien-Rodaun. Themenkreise wie Bibel, Kirchenjahr, Sakramente oder auch Menschen- und Kinderrechte werden „gemeinsam geplant, abgesprochen und gegebenenfalls adaptiert“, berichteten die daran federführend Beteiligten Irene Miller (evangelisch), Ulrike Sychrovsky (katholisch) und Ioannis Männl (orthodox). Schülerinnen und Schüler sähen „enorme Vorteile“ in der nun größeren Unterrichtsgruppe und erlebten den konfessionell kooperativen Religionsunterricht, der nun „diversitätsbewusster und differenzsensibel“ sei, als kulturelle und religiöse Bereicherung.

Die Kooperation über Konfessionsgrenzen hinweg bringe „tolle Ergebnisse“, ist Robert Schelander überzeugt. Dennoch biete sie, gerade wenn große und kleine Partner kooperieren, nicht zu unterschätzende Herausforderungen, so der Vorstand des Instituts für Religionspädagogik an der Evangelisch-theologischen Fakultät. Es reiche nicht, wenn in der Kooperation Mehrheits- und Minderheitsmodelle reflektiert würden, vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass sich auch innerhalb einer Konfession ein höchst heterogenes Bild zeige, befand der orthodoxe Theologe Ioan Moga von der Universität Wien. „Das Erfolgsrezept des orthodoxen Religionsunterrichts hat damit zu tun, dass man auch innerorthodox verstanden hat, dass man kooperieren muss“. Gleichzeitig mahnte Moga Kompetenzen in der interreligiösen Kooperation ein. Nur darauf zu bauen, dass die Chemie zwischen den handelnden Personen stimme, sei eine zu fragile Basis.

Begegnung auf Augenhöhe

„Der Religionsunterricht in Österreich bietet die Möglichkeit, dass sich alle Glaubensgemeinschaften auf Augenhöhe begegnen, unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Größe“, hob der alevitische Theologe Erdal Kalayci hervor. Vieles musste in der alevitischen Community erst aufgebaut werden, seit die Religionsgemeinschaft 2013 in Österreich offiziell anerkannt worden war. Wenn sehr kleine Glaubensgemeinschaften in manchen gemeinsamen Projekten nicht sichtbar seien, liege das nicht an mangelnder Kooperationsbereitschaft, sondern „weil es sich einfach personell nicht ausgeht“.

Gewarnt wurde bei der Enquete davor, konfessionell kooperative Modelle als „Notlösungen“ einzusetzen, da sie – wie mehrere Schulleiter:innen bestätigten – organisatorisch leichter im Stundenplan unterzubringen sind als konfessionell getrennter Unterricht. Außerdem brauche es noch rechtliche Klärungen für kooperative Unterrichtsformen.

Gemeinsinn stärken

An der Enquete unter dem Motto „Gemeinsam.Zukunft.Bilden“ hatten rund 140 Personen teilgenommen, neben Fachleuten, Bildungsbeauftragten und Repräsentanten der Kirchen und Glaubensgemeinschaften beteiligten sich auch Vertreterinnen und Vertreter der Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft. Schwerpunkt war auch der Beitrag des Religionsunterrichts zur Demokratiebildung und für Frieden. Die Schule sei heute ein Ort des selbstverständlichen Miteinanders der Religionen, mit dem gemeinsamen Ziel des Religionsunterrichts aller Glaubensgemeinschaften, „Werte zu vermitteln und den Gemeinsinn stärken“, formulierte etwa die Wiener Gymnasialdirektorin Silvia Böck.

Orientierung und Verantwortung

Religionsunterricht kann Heranwachsenden vor allem Orientierung für ein gutes Leben geben, wie auch zur Übernahme von Verantwortung für sich, andere und die „Mitwelt“ anregen, sagte die Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Andrea Lehner-Hartmann, in einem der Impulsvorträge. Chance und Anspruch bestünden darin, „Humanität zu befördern“ – wobei es auch kritische Selbstreflexion brauche, zumal es auch religiös begründete antidemokratische Entwicklungen gegeben habe und gebe.

Verschiedene Perspektiven

Religiöse Mündigkeit ist in pluralistischen Gesellschaften auch aus islamischer Sicht ein Ziel des Religionsunterrichts, verdeutlichte der islamische Theologe Zekirija Sejdini. Das Einüben einer kritischen Reflexion des eigenen Glaubens sowie der Respekt vor unterschiedlichen Perspektiven lasse besser mit Vielfalt im Glauben und in der Weltanschauung umgehen, das Verständnis für unterschiedliche religiöse Perspektiven könne soziale Spannungen und Missverständnisse vermeiden, so der Professor vom Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik der Universität Innsbruck. Religion aus dem Bildungsprozess auszuklammern, birgt hingegen Gefahren: Fehle fundiertes Wissen und kritisches Urteilsvermögen, könnten religiöse Konzepte leicht missverstanden oder missbraucht werden.

Bildungsstadtrat Wiederkehr: Vielfalt als Chance und Gefahr

Dankbar darüber, „wie gut der interreligiöse Dialog in Wien funktioniert“, äußerte sich Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos), der den Anwesenden für deren Beiträge dazu dankte. In der großen Vielfalt in der Gesellschaft liege nicht nur eine Chance, sondern es gebe auch Gefahren wie etwa die der Entfremdung, angesichts derer dem Religionsunterricht wichtige Aufgaben zukomme. Wiederkehr nannte als Beispiele die Weitergabe von Werten an die nächste Generation, „da die liberale Gesellschaft auf Werten wie Respekt und Anerkennung basiert“.

ISSN 2222-2464

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