28.06.2017

Wien: Flüchtlingsdienst feiert 20 Jahre Integrationsarbeit

Chalupka: „Flüchtlinge sollen Mitglieder unserer Gesellschaft werden“

Das neue "Integrations-Memo"-Spiel funktioniert wie ein handelsübliches Memory-Spiel, jedoch mit einem wesentlichen Mehrwert: Neben dem spielerischen Erlernen der deutschen Sprache sind es vor allem die originellen Sichtweisen auf das Leben in Österreich, die das Integrations-Memo zu einem völlig neuen Spielerlebnis machen, an dem auch Diakonie-Direktor Michael Chalupka (Mitte) sichtlich Spaß hat. (Foto: epdÖ/M.Uschmann)

Chalupka: „Flüchtlinge sollen Mitglieder unserer Gesellschaft werden“

Wien (epdÖ) – Mit einem großen Fest im Wiener Museumsquartier feierte die Diakonie am 27. Juni 2017 20 Jahre Integrationsarbeit in Wien. Vor Gästen aus Politik, Kirche und Zivilgesellschaft wurden aktuelle Herausforderungen der Integrationsarbeit diskutiert und die Erfolge der Arbeit aus den vergangenen zwei Jahrzehnten präsentiert. Im Zuge der Veranstaltung wurde auch das neue Integrations-Memory-Spiel der Medienöffentlichkeit vorgestellt.

Der Diakonie Flüchtlingsdienst, der als Evangelischer Flüchtlingsdienst gegründet wurde, sehe in den Menschen, die nach Österreich kommen und Hilfe suchen, nicht bloß Flüchtlinge. Immer gehe es darum, den Menschen als Ganzes zu sehen, erklärte Diakonie-Direktor Michael Chalupka zu Beginn der Veranstaltung. „Das Evangelische am Flüchtlingsdienst ist, dass für uns jeder Mensch ein Ebenbild Gottes mit einer unantastbaren Würde ist. Die Menschen, die zu uns kommen, sind Flüchtlinge, aber sie sind es nur für einen begrenzten Zeitraum. Wir müssen alles daransetzen, dass sie nicht lange Flüchtlinge bleiben, sondern integrierte Mitglieder unserer Gesellschaft werden“, so Chalupka. Dabei dürfe aber aus evangelischer Sicht kein Zwang, etwa im Bereich von Integrationsmaßnahmen, ausgeübt werden. Dies sei gar nicht nötig, zeigt sich der Diakonie-Direktor überzeugt. „Nach unserem Menschenbild sind wir alle schöpferische Menschen, die etwas schaffen, die etwas lernen wollen. Mit den Menschenbildern ist es ja manchmal so, dass diese zu idealistisch sind. Ich habe aber in den vergangenen 20 Jahren in der Integrationsarbeit erlebt, dass unser Menschenbild mit der Realität übereinstimmt.“

Bischof Michael Bünker erinnerte in seinem Grußwort daran, dass Europa immer schon ein Kontinent mit Fluchterfahrung gewesen sei. So mussten etwa noch 1731 Salzburger Evangelische die Flucht ergreifen. „Das Erstaunliche ist, wie sie damals in den anderen Ländern begrüßt worden sind. Jeder wollte, dass die Flüchtlinge sich bei ihnen niederlassen.“ Jedenfalls sei das 16. und 17. Jahrhundert in Europa von Flucht geprägt worden. „In diesen Milieus haben sich daraus zwei Dinge entwickelt. Erstens der Gedanke der Religionsfreiheit und zweitens der Gedanke eines geeinten Europas, weil etwa den Schotten oder Hugenotten damals schon bewusst war, dass sie diese Herausforderungen nur gemeinsam werden lösen können“, sagte Bünker. Deutliche Kritik übte der Bischof daran, dass es bis heute für Flüchtlinge keine Möglichkeit gebe, legal nach Europa einzureisen. „Von einem solidarischen Europa sind wir weit entfernt. Die Kluft zwischen denen, die den Flüchtlingen gegenüber offen eingestellt sind, und jenen, die Flüchtlingen ablehnend gegenüberstehen, wird zunehmend größer.“ Bünker sieht Integration als Lernprozess, der auf allen Seiten die Bereitschaft zur Veränderung verlange. Daraus könne man aber persönlich einen großen Gewinn ziehen, so der Bischof.

Staatssekretärin Muna Duzdar würdigte die Integrationsarbeit des Diakonie Flüchtlingsdienstes in Wien. „20 Jahre Integrationsarbeit in Wien bedeutet 20 Jahre Unterstützung für Menschen, die Orientierung und Unterstützung brauchen. Es bedeutet 20 Jahre Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt, denn ohne die Arbeit des Flüchtlingsdienstes und anderer Organisationen würde unsere Gesellschaft auseinanderfallen.“ Duzdar kritisierte, dass das Flüchtlingsthema von rechtspopulistischen Parteien instrumentalisiert würde und verurteilte die Neiddebatte, die in diesem Zusammenhang geschürt werde. Hier sehe sie Handlungsbedarf seitens der Politik. „Viele Menschen in diesem Bereich haben das Gefühl, von der Politik im Stich gelassen zu werden. Gerade hier gilt es für die Politik, Zeichen zu setzen und Unterstützung zuteilwerden zu lassen.“

Bei der anschließenden Gesprächsrunde betonte Peter Hacker vom Fonds Soziales Wien, dass er sich in der Debatte rund um das Thema Integration mehr Ernsthaftigkeit wünsche. Befragungen von Anrainern an Flüchtlingsunterkünften würden ergeben, dass eine Mehrheit von 70 bis 80 Prozent kein Problem mit Flüchtlingen und der Unterkunft habe, auch nicht ein Jahr nach Bezug. „In Wirklichkeit wird uns die Debatte von einer kleinen Minderheit aufgezwungen.“ Pfarrerin Maria Katharina Moser aus Wien-Simmering, die in den vergangenen Monaten praktische Erfahrungen in der Arbeit mit Flüchtlingen sammeln konnte, unterstrich, wie wichtig es sei, Orte zu haben, wo Flüchtlinge einfach als Menschen wahrgenommen würden. „Die Pfarrgemeinden sind so ein Ort, wo sie einfach Mensch sein können.“ Andreas Gampert vom Fachbereich Integration des Diakonie Flüchtlingsdienstes lobte die Zusammenarbeit mit der Stadt Wien und auch das Engagement zahlreicher Helferinnen und Helfer, speziell im Sommer und Herbst 2015, als die Flüchtlingsbewegungen nach Europa ihren Höhepunkt erreichten. „Allerdings hat sich der Diskurs seitdem sehr verändert. Mittlerweile werden unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig angefeindet. Das liegt sicher auch daran, wie der Diskurs in der Politik und in den Medien geführt wird“, meinte Gampert.

Die Integrationsarbeit des Diakonie Flüchtlingsdienstes begann 1997 mit Unterstützung der Europäischen Union. Der Diakonie Flüchtlingsdienst engagiert sich in der Beratung, Betreuung, Unterbringung, (Aus-)Bildung, Integration sowie der medizinischen und psychotherapeutischen Behandlung von Asylsuchenden, Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten. „Im Mittelpunkt stehen die Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen und Kompetenzen. Es geht uns vor allem um Teilhabe und Gleichberechtigung“, erklärte Alexandra Gröller, Geschäftsführerin des Diakonie Flüchtlingsdienstes.

Vorgestellt wurde auch das neue „Integrations-Memo“ der Diakonie. Es funktioniert wie ein handelsübliches Memory-Spiel, jedoch mit einem wesentlichen Mehrwert: Neben dem spielerischen Erlernen der deutschen Sprache sind es vor allem die originellen Sichtweisen auf das Leben in Österreich, die das Integrations-Memo zu einem völlig neuen Spielerlebnis machen. Das zweisprachige Begleitheft in Arabisch und Deutsch mit Texten zahlreicher Persönlichkeiten macht das Spiel zu einem spannenden, unterhaltsamen und vor allem konstruktiven Beitrag in der aktuellen Integrationsdebatte. Einen Vorgeschmack auf das 32-teilige Kartenspiel gibt die Online-Version des Spieles. Außerdem ist das Spiel auch im öffentlichen Raum spielbar: In Wien, Salzburg und Innsbruck werden PassantInnen mittels interaktiver Citylights dazu animiert, am Integrationsdiskurs teilzunehmen.

ISSN 2222-2464

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