15.05.2008

Wien: Evangelische Kirche betreut Angehörige von Gefangenen

Erstes spezifisches Angebot einer Angehörigenarbeit - Gefängnisseelsorger Matthias Geist: "Vergessene 'Opfer' des Strafvollzugs"

Erstes spezifisches Angebot einer Angehörigenarbeit – Gefängnisseelsorger Matthias Geist: „Vergessene ‚Opfer‘ des Strafvollzugs“

Wien (epd Ö) – Die Evangelische Kirche A.B. in Wien bietet ab Mitte Mai 2008 eine Betreuung für Angehörige von Strafgefangenen. Erstmals und in Österreich einzigartig, wie Gefängnisseelsorger Matthias Geist betont, erhalten Angehörige von Strafgefangenen ein spezifisches Betreuungsangebot.
In der Justizanstalt Wien-Josefstadt wird die Gefängnisseelsorge ab sofort durch die in der Angehörigenbegleitung bereits erfahrene Claudia Röthy unterstützt. Ziel dieses Angebots ist es, so Geist, die materielle und psychische Notlage von Mitbetroffenen des Strafvollzugs, insbesondere von Eltern, PartnerInnen und Kindern ernst zu nehmen.

Angehörige seien „Opfer des Strafvollzugs, weil sich ihre Lebenssituation von einer Sekunde auf die andere unverschuldet ändern kann. Scham und Ausgrenzung, aber auch eine gewisse Aussichtslosigkeit bei Zukunftsfragen prägen die erste Zeit einer verhängten Untersuchungshaft.“ Mit mehreren Veranstaltungen hat die evangelische Gefängnisseelsorge im vergangenen Jahr auf dieses Pilotprojekt hingearbeitet, berichtet Pfarrer Matthias Geist. Die Betreuung der Angehörigen wachse stetig an und finde besonders starken Zuspruch, auch über die Zeit der Untersuchungshaft hinaus. „Die Not der Angehörigen wird selten artikuliert“, so der Wiener Gefängnisseelsorger weiter. Sie bleibe oft ungehört, vom juristischen Standpunkt her gebe es keine Rechte für Angehörige.

Für Claudia Röthy ist es „entscheidend wichtig, die Menschen in ihrer Ohnmacht wahrzunehmen, sie zu stärken und mit ihnen Perspektiven zu erarbeiten, wie sie mit den Grenzen leben lernen“. Dass unschuldige Menschen ebenso in ihren Rechten beschnitten werden, will die neue Seelsorgerin so nicht hinnehmen: „Viele Menschen fühlen sich mitbestraft und mitgefangen. Durch die massive Stigmatisierung verstummen Familienangehörige oft.“ Das Mindeste sei, „ihnen zuzuhören, wo sie niemanden mehr zum Sprechen haben und ihnen über die schwerste Zeit Unterstützung anzubieten“.

Aus der Sicht des Seelsorgers Matthias Geist ist die Tendenz zu einem wieder stärker werdenden Vergeltungsbedürfnis der Bevölkerung gerade in letzter Zeit unverkennbar. „Aus menschlichem Empfinden und sozialethischer wie volkswirtschaftlicher Überzeugung ist es jedoch verkehrt, Gefangene einfach nur wegzusperren und von ihren Angehörigen zu trennen“, warnt der Gefängnisseelsorger. Angehörige übernehmen als soziales Netz den Großteil jeder gelungenen Resozialisierung. Es sei beschämend, „wie alleingelassen die Angehörigen zu uns kommen“. Eine Gesellschaft brauche „trotz aller Schuld immer wieder Versöhnung in Wahrheit und Verantwortung“.

ISSN 2222-2464

Diesen Beitrag teilen

Newsletter abonnieren

Der Newsletter von evang.at mit den wichtigsten Nachrichten des Evangelischen Pressedienstes (epd) ist kostenlos und erscheint in der Regel einmal pro Woche am Mittwoch.