24.04.2022

„Wie ist Jesus weiß geworden?“

Julia Schnizlein über Jesusdarstellungen und ihre Instrumentalisierung.

„Ist es nicht im Grunde völlig egal, welche Hautfarbe Jesus hatte?“, fragt Julia Schnizlein. Foto: pixabay

Julia Schnizlein über Jesusdarstellungen und ihre Instrumentalisierung.


„Wie ist Jesus weiß geworden?“ heißt der Titel eines Buchs, das die Theologin Sarah Vecera gerade veröffentlicht hat. Man könnte nun fragen: „Ist es nicht im Grunde völlig egal, welche Hautfarbe Jesus hatte?“ Es sollte egal sein. Allerdings war es das in der Vergangenheit oft nicht. Vielmehr wurde die Art und Weise, Jesus darzustellen, bewusst instrumentalisiert. Jesusdarstellungen dienten mitunter dazu, die Überlegenheit und den Herrschaftsanspruch gewisser Ethnien zu untermauern.

Der historische Jesus kam als Jude in Bethlehem und damit als Person of Color zur Welt. Die Forschung geht davon aus, dass Jesu Physiognomie in etwa der jener Menschen entspricht, die im heutigen Irak leben.
Doch nur selten wurde Jesus auch so dargestellt. In den ältesten Gemälden aus römischen Katakomben ähnelte Jesus dem typischen Römer. Er wurde als guter Hirte dargestellt, mit weißer Haut, Tunika und kurzem lockigen Haar. Später wurde dieses Bild vom Christus mit Bart und langem Haar abgelöst. Die Haut blieb weitgehend hell, sein jüdisch-orientalisches Aussehen wurde immer mehr zum Tabu.

Als es der Maler Max Liebermann gegen Ende des 19. Jahrhunderts wagte, den 12-jährigen Jesus im Tempel realistisch darzustellen, gab es einen ungeheuren Sturm der Empörung. Jesus als armer, barfüßiger Sohn eines Handwerkers mit ärmellosem Kittel, dunklerer Haut und angedeuteten Schläfenlocken – anstelle einer weißen, engelhaften Lichtgestalt von göttlichem Wesen – glich einem Sakrileg. Der Aufschrei war so groß, dass Liebermann sich gezwungen sah, sein Gemälde zu übermalen. Der König der Juden durfte nicht jüdisch sein.

Und auch nicht „of Color“, vor allem nicht in der Kolonialzeit: „Es waren europäische Missionare, die den weißen Jesus in die Welt trugen. Die helle Haut diente dazu zu untermauern, dass weiß herrscht und andere folgen. Hätte der liebe Gott so ausgesehen, wie die Unterdrückten, hätte dies zu Irritationen führen können“, schreibt Vecera.

Weiße, westlich geprägte Jesusbilder haben sich bis heute weitgehend manifestiert. Mit ihrem Buch „Wie ist Jesus weiß geworden“ möchte Vecera ein Bewusstsein dafür schaffen. In der Hoffnung, dass die Hautfarbe für das Bild und das Verständnis vom Gottessohn irgendwann wirklich irrelevant sein wird.

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ISSN 2222-2464

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Rassismus | Schnizlein

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