Weitgespannte Vielfalt im Denken Johannes Calvins
Aus Anlass des 500. Geburtstages des Reformators befasste sich ein wissenschaftliches Symposion mit seiner Theologie und ihren Auswirkungen
Aus Anlass des 500. Geburtstages des Reformators befasste sich ein wissenschaftliches Symposion mit seiner Theologie und ihren Auswirkungen
Wien (epd Ö) – Zahlreiche Facetten im theologischen Denken Johannes Calvins beleuchtete das wissenschaftliche Symposion „Die reformierte Reformation“, das aus Anlass des 500. Geburtstages des Reformators von der Evangelischen Kirche H.B. in Österreich und der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien am 16. Juni in den Räumen des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin in Wien veranstaltet wurde.
Dass Johannes Calvin weniger ein akademischer als vielmehr „ein kirchlicher Theologe und daher in höchstem Maße ein ökumenischer Theologe“ war, hob der Bochumer Kirchengeschichtler Martin Friedrich hervor. In seinem Vortrag über „Calvin und die Einheit der Kirche – Ökumenische Perspektiven“ führte Friedrich Calvins ökumenischen Ansatz auf seine Zeit als Prediger der französischen Gemeinde in Straßburg zurück. Dort habe sich Calvin mit dem Täufertum auseinanderzusetzen gehabt, was sein theologisches Interesse an der äußeren Gestalt der Kirche geweckt habe. Das habe sein Denken über die Kirche „in eine „katholische Nähe“ gebracht. Friedrich verglich in diesem Zusammenhang die Situation der Reformierten Kirche in Österreich mit der damaligen Situation der französischen „Fremdlinge“ in Straßburg und konstatierte auch hier eine ökumenische Herausforderung. Friedrich, der zugleich Studiensekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) ist, vertrat die These, nach Calvin beruhten die Ämter in der Kirche auf göttlicher Einsetzung, seien deshalb „heilsvermittelnd“ und stellten einen den einzelnen Amtsträgern anvertrauten Dienst dar. Insgesamt sei nach Calvin Kirche so zu gestalten, „dass das Wort Gottes seine Wirkung ungehemmt und unverfälscht entfalten kann“. Das sei auch die Auffassung des „Leuenberger Modells“ der GEKE.
Das „christokratische Prinzip“
An den 1954 verstorbenen Wiener Systematiker, Professor für Reformierte Theologie und Calvinforscher Josef Bohatec erinnerte in einem Grußwort Ministerialrat Karl Schwarz vom Kultusamt. In einem Aufsatz, so Schwarz, sei Bohatec zu einem Ergebnis gekommen, „das die damalige Calvin-Forschung einigermaßen erschüttert hat“. Bohatec habe dem gängigen Klischee vom demokratischen Kirchenbegriff Calvins widersprochen und „die ausschließliche Perspektive von unten, vom Gemeindeprinzip und dem Priestertum aller Gläubigen“ als zu einseitig abgelehnt. Schwarz: „Denn die Amtsträger in der reformierten Gemeinde repräsen-tieren nicht die Gemeinde im modernen Sinn, sie sind nicht Mandatare eines Volkswillens, sondern sind Funktionäre Christi.“ Bohatec sei nicht müde geworden, „das christokratische Prinzip in den Vordergrund zu rücken und sozusagen in der Synthese von Christokratie und temperierter Gemeindeautonomie den Schlüssel für die Kirchenverfassung Calvins zu erbli-cken“.
Loader: „Leibesfeindliche Grundeinstellung“
Für den Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, den Alttestamentler James Loader, arbeitete Calvin als Exeget nach der schon in der Alten Kirche entwickelten Methode der Typologie. In seinem Vortrag „Calvin und das Hohelied“ wies Loader nach, dass für Calvin die Intuition der Verfasser von Texten bestimmend gewesen sei. So habe er das Hohelied als Metapher für die Liebe Gottes zu seinem Volk verstanden. Da für die „leibesfeindliche Grundeinstellung“ des Reformators das Hohelied nicht erotisch sein konnte, weil es im Kanon steht, habe der Reformator ihm einen „geistlichen Sinn“ beigelegt. Gegen die Methode der Allegorese habe Calvin eine „Aversion“ gehabt, da sie nach seiner Auffassung zu „blasphemischen Spielchen“ führe. Seine eigene Methode habe er als der Allegorese lediglich „verwandt“ gesehen. Loader dazu: „Die Techniken der Allegorese und der Typologie sind fast ident. Sie atomisieren die biblischen Texte.“ Zur gegenwärtigen Situation der Bibelexegese sagte der Alttestamentler: „Wir verwenden noch heute alle möglichen Auslegungstechniken, um einander zu bekämpfen und zu verjagen. Aber noch hält Christus seine Kirche selbst instand.“
Wischmeyer: „Reformationsjahrhundert war komplex“
Fragen der Zeitgebundenheit, der Wirkungsgeschichte und der aktuellen Bedeutung der Reformation Calvins standen in der abschließenden Debatte des Symposions im Mittelpunkt. So betonte der Erlanger Kirchengeschichtler Alasdair Heron, der bei dem Symposion ein Referat über die europäischen Perspektiven des Wirkens Calvins gehalten hatte, die Reformation habe keinen Pluralismus in Glaubensdingen gewollt, sie habe aber zur Entstehung des Pluralismus beigetragen. Erst dabei sei es zum Gedanken der Toleranz als eines Wertes an sich gekommen. Auch der Wiener Kirchenhistoriker Wolfgang Wischmeyer verwies auf die historische „Pragmatik“ des zeitgenössischen Umfelds und plädierte für die Wahrnehmung der „Komplexität des Reformationsjahrhunderts“. Der Wiener Systematiker Ulrich H.J. Körtner fasste zusammen: „Es gehört zur Geschichtlichkeit des Daseins, dass wir jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt unsere Fragen stellen.“ Heute könne etwa das Leuenberger Modell hilfreiche Antworten geben. Vorträge auf dem Symposion hielten auch der Zürcher Reformationsgeschichtler Emidio Campi über „Johannes Calvin und die reformierte Konfession“ und der Theologe Gabor Vlada (Papa) über die Calvinrezeption in Mittel-Osteuropa.
ISSN 2222-2464