24.06.2020

Virtuelle Ausgabe des Bachmannpreises an Helga Schubert

Siegertext mit evangelischer Kirchenliedtradition als Motiv

Gewinnerin Helga Schubert: Vor 40 Jahren schon eingeladen, von der DDR aber an der Ausreise gehindert. Foto: ORF/Screenshot

Siegertext mit evangelischer Kirchenliedtradition als Motiv

Klagenfurt (epdÖ) – Die deutsche Autorin Helga Schubert hat die erste virtuelle Austragung der Tage der deutschsprachigen Literatur („Bachmannpreis“) für sich entschieden. Die in der ehemaligen DDR geborene 80-Jährige Autorin war bereits 1980 nach Klagenfurt eingeladen worden, durfte damals allerdings nicht ausreisen. Die Lesungen waren heuer voraufgezeichnet und von Donnerstag, 17., bis Samstag, 20. Juni, eingespielt worden. Die Jury-Diskussionen fanden live statt.

Schuberts Siegertext „Vom Aufstehen“ erzählt von einer Tochter, die ihre sterbende Mutter begleitet. Dabei geht es um die Beschreibung und Reflexion reicher Emotion aber auch Annahme und Akzeptanz. Ein Motiv des Textes bildet die evangelische Kirchenliedtradition. Die sterbende Mutter wünscht sich das berühmte Kirchenlied Paul Gerhardts „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ als letzte musikalische Begleitung zum Begräbnis. Als sie im Februar stirbt, dichtet der Pfarrer die Zeile der „schönen Sommerzeit“ zur „schönen Jahreszeit“ um. Jurorin Insa Wilke verwies in ihrer Laudatio auf ein „besonderes Weben von Motiven“, das „Lebensgeschichte in Literatur verwandelt“ und dabei „feine Ironie wie musikalische Erfahrung“ verbinde. Auch werde die „unbewusste Kraft von Kirchenliedern“ freigelegt.

In theologischer Perspektive überraschten auch weitere Wettbewerbstexte. Der Grazer Autor Egon Christian Leitner wählte für seinen sozialkritischen Beitrag sogar einen Kirchenraum als Leseort. „Dieser Text hat die Entschlossenheit uns vorzuführen was in dieser Welt im Sozialen los ist“, kommentierte der Grazer Juror, Klaus Kastberger, Leiter des Literaturhauses Graz, die Lesung des mit dem KELAG Preis ausgezeichneten Autors. In seiner Laudatio betonte Kastberger, dass „Egon Christian Leitner eine Ausnahmeerscheinung in der so reichhaltigen österreichischen Literatur ist und mit seinem bisherigen Werk auf die Probleme des Sozialstaates hinweise“, und diese seien bei weitem „nicht gelöst“.

Weiters gingen der Deutschlandfunkpreis an Lisa Krusche (D), der 3sat-Preis an Laura Freudenthaler (Ö) und der Publikumspreis an Lydia Haider (Ö). Die Eröffnungsrede hielt die in Berlin lebenden Autorin Sharon Dodua Otoo, Bachmannpreisträgerin 2016.

Der Ingeborg-Bachmann-Preis ist mit 25.000 Euro dotiert und wird von der Stadt Klagenfurt seit 1977 vergeben. Die in Klagenfurt geborene Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926-1973) stammte väterlicherseits aus einer historisch tief verwurzelten evangelischen Familie im Kärntner Gailtal und ist Namensgeberin des Hauptpreises der Literaturtage in Klagenfurt. Der erste Preisträger war Gert Jonke – der in Klagenfurt geborene Dichter und Dramatiker (1946-2009) war wie Ingeborg Bachmann evangelisch.

ISSN 2222-2464

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