12.02.2022

Ungnädig

Michael Chalupka über öffentliche Urteile

"Wir kritisieren nicht mehr nur das, was wir als Fehlverhalten sehen, sondern begegnen den Betreffenden mit fast genüsslicher Verachtung oder Feindschaft." Foto: pxhere

Michael Chalupka über öffentliche Urteile

Mir fällt auf, wir werden zunehmend ungnädig. Untereinander, vor allem aber Menschen gegenüber, die in der Öffentlichkeit stehen und Entscheidungen zu treffen haben, die uns nicht immer gefallen oder die wir nicht nachvollziehen können.

Menschen werden nach dem, was sie tun oder lassen, be- und immer öfter auch verurteilt. Wir kritisieren nicht mehr nur das, was wir als Fehlverhalten sehen, sondern begegnen den Betreffenden mit fast genüsslicher Verachtung oder Feindschaft.

Da kann die Theologie von der Gnade, die der Reformator Martin Luther uns gelehrt hat, helfen. Gottes Gnade unterscheidet zwischen Person und Werk. Ein Mensch ist mit dem, was er geleistet oder nicht geleistet hat, mit dem was, er denkt oder wovon er überzeugt ist, nicht identisch. Ein Mann oder eine Frau sind immer mehr als eine einzelne Tat, Aussage oder politische Entscheidung.

Das heißt nicht, dass Menschen sich nicht verantworten und kritisieren lassen müssen für das, was sie tun. Ich kann völlig anderer Meinung sein als jemand anderer, das auch zum Ausdruck bringen – und ihn trotzdem (oder gerade dadurch) wertschätzen und lieben.

Dass Gott gnädig ist, heißt nicht, dass die Verfehlungen eines Menschen irrelevant sind. Aber Gott sieht den ganzen Menschen und ist gnädig.

Ich wünsche mir, wir könnten das auch öfter: zwischen dem, was uns nervt, und der Person unterscheiden und gnädiger miteinander umgehen.

ISSN 2222-2464

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