25.05.2023

Fresach: Toleranzgespräche befassten sich mit dem Thema „Wachstum am Ende – was jetzt?“

Superintendent Sauer: „Nicht jedes Wachstum ist ein Schritt in eine bessere und humanere Welt“

Superintendent Manfred Sauer, Vorsitzender des Dialogforums Denk.Raum.Fresach, bei der Eröffnung der Toleranzgespräche 2023. (Screenshot: Trojan)

Superintendent Sauer: „Nicht jedes Wachstum ist ein Schritt in eine bessere und humanere Welt“


Fresach (epdÖ) – Unter dem Thema „Wachstum am Ende – was jetzt?“ standen vom 25. bis 27. Mai die diesjährigen Toleranzgespräche im Kärntner Bergort Fresach. Über 30 Expert*innen aus Kirche, Wirtschaft, Medien, Philosophie und Kultur stellten sich der Debatte. In seiner Eröffnungsrede betonte der Kärntner Superintendent Manfred Sauer, dass nicht jede Entdeckung, jeder Fortschritt, jedes Wachstum ein Schritt in eine bessere und humanere Welt sei. „Mit so manchen Fortschritten und Wachstumsschüben zertreten und vernichten wir die Lebensgrundlagen vieler anderer Menschen und letztendlich unsere eigenen“, mahnte Sauer. Mut machte er indes im Hinblick auf „das Wunderbare“. Etwa „die Hoffnung, dass wir inwendig wachsen an Weisheit und Erkenntnis“. Oder die Fähigkeit zu unterscheiden zwischen tödlichem und lebensförderndem Wachstum. „Und nicht zu vergessen: Das Wunderbare wächst auch aus dem Vertrauen auf den lebendigen Pfingstgeist, der Türen öffnet, Angst überwindet und Verständigung ermöglicht.“ Sauer ist Vorsitzender des Dialogforums „Denk.Raum.Fresach“, das die Toleranzgespräche veranstaltet.

Zur Frage „Planet geplündert – bereit für Veränderung?“ befassten sich Expertinnen und Experten mit dem Thema Wachstum. Der deutsche Bestseller-Autor und Öko-Visionär Franz Alt stellte an den Beginn seiner Ausführungen ein Gedankenexperiment: Headlines in einer „Ökologischen Tagesschau“ könnten etwa lauten: „Heute haben wir wieder 50.000 Hektar fruchtbaren Boden verloren“, oder: „Heute wurden wieder 180 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen“. Der bekannte Journalist kritisierte, dass heute noch immer weltweit Atomkraftwerke in Betrieb sind. Die ständige Gefahr von Katastrophen sowie die Endlagerung – Atommüll strahlt eine Million Jahre lang – veranlassten ihn zur provokanten Frage, ob „wir uns wirklich ‚Homo sapiens‘ nennen“ sollten. „Wir sind gegenwartsbesessen und zukunftsvergessen.“

Eröffnung der Fresacher Toleranzgespräche mit (von links) Hannes Swoboda, Franz Alt, Moderator Claus Reitan, Christine Ax und Barbara Rauchwarter. (Screenshot: Trojan)

Alt betonte, dass es Wachstum geben müsse, aber er schlug einen differenzierten Wachstumsbegriff vor. Der Begriff sei verengt auf ökonomisches Wachstum, und hier könne es kein unbegrenztes Wachstum geben. Vielmehr plädierte er dafür, im geistigen, kulturellen und spirituellen Sinne zu wachsen. Hier sei der Mensch infantil geblieben. „Ohne dass wir geistig mehr wachsen, kriegen wir die Kurve nicht!“ Eine Alternative zum klassischen Wachstumsbegriff wäre auch der Begriff der Reife: „Wir alle wachsen nach der Geburt, bis wir etwa 18 Jahre alt sind“, erinnerte Alt. In diesem Alter machten viele junge Menschen die „Reifeprüfung“. Laut Alt könne man also die Frage nach dem Wachstum ändern in die Frage: Wie können wir reifen?

Wirtschaftsethik in der Bibel: Von unten her gedacht

Die evangelische Theologin Barbara Rauchwarter beleuchtete das Thema der diesjährigen Toleranzgespräche aus biblischer Sicht. Schon im Alten Testament habe es eine Wirtschaftsethik gegeben, und die sei „von unten her gedacht“ worden, zum Wohlergehen der einfachen Leute. „In der Wirtschaftsethik der Bibel sind die Gesetze sozialverträglich“, so Rauchwarter, „Ziel ist die Verhinderung von Armut und Schulden“. Am Sabbat ist Juden profitorientiertes Handeln verboten. Besonderes Augenmerk legte die Theologin auf das „siebte Jahr, das Sabbatjahr, in dem die Schulden erlassen wurden“. Selbst Sklaven wurden freigelassen und mit Grundeinkommen ausgestattet. Dass überdies das Land ein Jahr lang brachliegen musste „forderte großes Vertrauen in Gottes Fürsorge, und das hat sich gelohnt“, betonte Rauchwarter.

Sind wir bereit zur Veränderung? Diese Frage würden die meisten bejahen, meinte die Nachhaltigkeitsforscherin Christine Ax. Allerdings, „sobald einen die Veränderung selber betrifft, soll alles so bleiben wie es ist“. Nachsatz: „Obwohl wir wissen, dass wir gegen die Wand fahren.“ Die Autorin und Philosophin plädierte dafür, den Menschen „im Kosmos neu einzuordnen“. Viele indigene Völker hätten eine andere Beziehung zur Natur und ordneten sich in den natürlichen Kosmos ein. „Wir sind ein stückweit aus dieser Ordnung rausgefallen.“ Wichtig sei also ein Umdenken, „dass wir die Natur anders respektieren und behandeln“.

Sehnsucht nach einer neuen Ordnung

Der Mensch sehne sich nach einer neuen Ordnung, bemerkte „Club of Rome Austria“ Präsident Hannes Swoboda, „aber wir haben sie noch nicht erarbeitet“. Auch er machte sich stark für ein neues Verhältnis zur Natur, „dass wir ja Teil dieser Natur sind“. Und er merkte an, dass – solange die Welt ungerecht ist – viele ärmere Menschen meinten: „Warum soll ich mich ändern? Sollen sich doch die Reichen ändern.“ Darum sei die Frage der Gerechtigkeit ein unbedingtes Element einer Klimapolitik. „Es geht nicht darum, dass wir alle von heute auf morgen verzichten, sondern dass Liebe mehr Gerechtigkeit bedeutet!“, zeigte sich Swoboda überzeugt.

Die Eröffnungsrede der Europäischen Toleranzgespräche 2023 in Fresach hielt Marlene Streeruwitz zum Thema „Wachstum am Anfang – Zukunft am Ende?“ Die Schriftstellerin, Essayistin und Filmemacherin befasste sich in poetischen Sprachbildern mit dem Zusammenspiel von Wirtschaft, Wissenschaft und Fragen nach dem Leben und Tod. Sie kritisierte den Selbstzweck des Profits und plädierte für eine Freiheit aller, denn „Freiheit nur für Einzelne ist die Unfreiheit der Anderen“.

Am Donnerstagabend wurde der Toleranzpreis 2023 verliehen, er ging an den ehemaligen Bischof der Evangelischen Kirche A.B., Michael Bünker. Zum Abschluss der Toleranzgespräche wurde eine Wachstumscharta verabschiedet, in der die zunehmende soziale Ungleichheit auf der Welt kritisiert wird.

ISSN 2222-2464

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