24.06.2020

Theologe Körtner fordert politisches „Berufsethos“

Nicht bloß „Technokraten der Macht“ – Zum 100. Todestag von Max Weber

Sah „Unsachlichkeit und Verantwortungslosigkeit“ als politische „Todsünden“: Der Soziologe Max Weber (1864-1920)

Nicht bloß „Technokraten der Macht“ – Zum 100. Todestag von Max Weber

Wien (epdÖ) – Ein Jahr nach dem Ibiza-Skandal und zum Beginn des entsprechenden Untersuchungsausschusses im Nationalrat hat der evangelische Theologe und Ethiker Ulrich Körtner auf die Notwendigkeit eines politischen Berufsethos hingewiesen. In einem Gastbeitrag für die Wiener Zeitung (Samstag, 13. Juni), schreibt Körtner: „Ein wohlgeordnetes politisches Gemeinwesen ist auf die moralische Integrität derer angewiesen, welche die Politik zu ihrem Beruf machen.“ Auch wenn letztlich alle Bürgerinnen und Bürger politische Verantwortung trügen, komme die moderne Demokratie nicht ohne Politikerinnen und Politiker aus, denen nicht nur auf Zeit Macht übertragen werde, sondern die Politik „im Interesse der Allgemeinheit als Beruf ausüben und ihr Handwerk beherrschen“, meint Körtner und knüpft dabei an Überlegungen des Soziologen Max Weber an, dessen Todestag sich am 14. Juni zum 100. Mal jährte.

Unsachlichkeit und Verantwortungslosigkeit als „politische Todsünden“

Die Kernfrage laute dabei, „was für ein Mensch man sein muss, um seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen“, zitiert Körtner Weber wörtlich. Es brauche dazu „moralisch integre Politikerinnen und Politiker, und nicht bloß Technokraten der Macht“. Mit Leidenschaft – verstanden als Sachlichkeit – , Verantwortungsgefühl und Augenmaß betone Weber drei Qualitäten, die eine gute politische Persönlichkeit ausmachten. Parallel dazu betrachte er Unsachlichkeit und Verantwortungslosigkeit – motiviert aus persönlicher Eitelkeit – als „Todsünden“ auf dem politischen Parkett.

Wovor Körtner mit Weber allerdings warnt ist eine Überbetonung der moralischen „Werte“ in der Politik. Sie würden schnell zum „Mittel des Rechthabens“ verkommen und seien „das säkulare Gewand, in dem die totgesagten Götter eines vormodernen Zeitalters weiterleben“. Die Berufung auf moralische Werte und die eigene Wertegemeinschaft diene zudem als Instrument der Abgrenzung gegenüber anderen, die nicht Teil dieser Gemeinschaft seien.

Moralische und politische Verantwortung nicht identisch

Zu differenzieren sei in der Rede vom politischen Berufsethos zudem zwischen moralischer und politischer Verantwortung. Das moralisch Gebotene sei im politischen Geschäft, das eine Abwägung vieler Interessen bedeutet und auf das Gemeinwohl zu achten hat, nicht identisch mit dem politisch Gebotenen – auch wenn sich die beiden nicht auseinanderdividieren ließen. Weber habe jedenfalls pragmatisch eingesehen: „Keine Ethik der Welt kommt um die Tatsache herum, dass die Erreichung ‚guter‘ Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, dass man sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt.“

Warnung vor „kompromisslosem Rigorismus“

Wer hingegen seine moralische Gesinnung über alles stelle, laufe Gefahr, in einen „kompromisslosen Rigorismus“ zu verfallen. So verweist Körtner auf „Teile der Tierrechte- und der Klimaschutzbewegung“; sie würden sich, genauso wie rechte Bewegungen, „bisweilen an den Spielregeln einer Demokratie, zu deren Wesenselementen der politische Kompromiss gehört“, stoßen. „Eine lebendige Demokratie braucht allerdings nicht nur den Konsens, sondern auch den Konflikt, für dessen Austrag aber gemeinsam akzeptierte Regeln gelten müssen.“

In der Woche vom 15. bis zum 20. Juni spricht Ulrich Körtner in der Ö1-Sendung „Gedanken für den Tag“ ebenfalls über Max Weber. Zu hören jeweils ab 6.56 Uhr.

ISSN 2222-2464

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Schlagworte

Körtner | Ethik | Politik

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