25.04.2001

Sterbehilfe: Für eine differenzierte Diskussion

Expertenrunde zum Thema Euthanasie - Körtner: Ausbildung von Medizinern und Pflegepersonal wichtiger als das Reden über Gesetze

Expertenrunde zum Thema Euthanasie – Körtner: Ausbildung von Medizinern und Pflegepersonal wichtiger als das Reden über Gesetze

Wien, 25. April 2001 (epd Ö) Eine differenzierte Diskussion zum Themenbereich Sterbehilfe und Sterbebegleitung hat eine Expertenrunde beim Montags-Gespräch der Medien „Der Standard“ und „Radio Wien“ zum Thema „Euthanasie“ im Wiener „Haus der Musik“ gefordert. Der Arzt Reinhard Dörflinger, der Philosoph Peter Kampits, der evangelische Theologe Ulrich Körtner und der Rechtsanwalt Alfred Noll kritisierten, dass der gesamte Themenbereich der Sterbehilfe in Österreich bisher „nicht ausreichend“ diskutiert worden sei. Anstatt nur über das niederländische Gesetz zu sprechen, sollte die Situation in Österreich beleuchtet und auf zentrale Fragen des Themas – etwa die Selbstbestimmung des Menschen – eingegangen werden.

Der Theologe Ulrich Körtner rief dazu auf, „zuerst einmal über die Situation und die Lebensqualität von Sterbenden in diesem Land zu diskutieren“. Man müsse überlegen, „was von der Ärzteschaft überhaupt verlangt wird“. Die Ausbildung von Medizinern und Pflegepersonal sei wichtiger, als primär über Gesetze zu reden. Auch die Palliativmedizin (Schmerz-

bekämpfung) könne nicht das Allheilmittel sein, so Körtner weiter.

Die Patienten ernst nehmen

Derzeit „gibt es keine ausreichenden Geldmittel für eine palliative Versorgung“, meinte dazu Dörflinger. Für den Arzt wäre es schon ein Fortschritt, „wenn wir eine Hauskrankenpflege zusammen mit Palliativmedizin ermöglichen, was Menschen die Chance geben würde, zu Hause zu sterben“. Es sei wichtig, „die Patienten ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören, aber auch die Grenzen der Medizin anzuerkennen“. In der Praxis nämlich sei Sterbehilfe „sehr wohl ein Problem.“ Er machte deutlich, dass schwerkranke Menschen, deren Leben man medizinisch gesehen vor zehn Jahren nicht aufrechterhalten konnte, heute durchaus am Leben erhalten werden können. „Auch wenn das Leben in sehr reduzierter Form erfolgt,“ so Dörflinger. Für ihn und seine Kollegen stellt der Zwiespalt zwischen aktiver Sterbehilfe und hippokratischem Eid ein großes Problem dar. Anstatt der aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema würde oft „ein bißchen mehr Morphium“ in der Praxis gewählt, berichtete der Arzt.

Körtner ging auch auf die vieldiskutierte Frage der Selbstbestimmung ein. „Im Kern geht es darum, wie wir die Autonomie verstehen“, so der Theologe. Eine Auslegung der Autonomie wie in den Niederlanden widerspreche dem Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach kein Mensch absichtlich getötet werden darf. Es sei nicht der Einzelne, der über sein Lebensende entscheidet. „Der Berufsgruppe der Ärzte wird zugemutet zu entscheiden, wer lebt und wer nicht“, so Körtner.

Ärzte allein gelassen

Ähnlich auch Reinhard Dörflinger: „Wenn der Wunsch eines Patienten auftritt, lässt man uns Ärzte alleine.“ Zu beachten sei auch, dass in den Krankenhäusern und Hospizen, wo die meisten Menschen in Österreich sterben, hauptsächlich das Pflegepersonal bei den Sterbenden sei und weniger die Ärzte.

Die Autonomie des Einzelnen und seine Selbstbestimmung wurde von Peter Kampits hervorgehoben. Allein der kranke Mensch würde die Probleme und das einsame Sterben erleben, gab der Philosoph zu bedenken. „Seit der Aufklärung plädieren wir für Autonomie und Würde; warum sollen also beim letzten Akt andere Bedingungen herrschen als im Leben davor?“ fragte Kampits an. Für ihn ist der gesetzliche Druck des Weiterlebens „grauenhaft“. Kampits sprach sich für mehr Sachlichkeit in der Diskussion aus: „Man sollte über den sterbenden Menschen nicht mit Argumenten oder Gesetzestexten drüberfahren.“ Grundrechte der Menschen würden dort verletzt, „wo man in deren Selbstbestimmung eingreift und nicht umgekehrt“.

Als Rechtsanwalt sprach sich Alfred Noll für „eine rechtliche Grundlage der Euthanasie“ aus. Dass Tötung rechtswidrig sei, stellte der Rechtsanwalt nicht in Frage. Die Frage sei aber, ob eine Tötung bei gewissen Umständen straffrei sein könne, so Noll. Für ihn sei Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Regelung des Rechts auf Privatheit wichtiger. Nach Nolls Meinung sollte der Mensch abwägen können, wie er leben und wie er sterben möchte. Trotzdem tritt auch er für den Erhalt des Lebens ein, denn „je mehr Anstrengungen wir unternehmen, würdevoll zu sterben, desto eher können wir ein würdevolles Sterben gewährleisten.“

ISSN 2222-2464

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