18.01.2008

Stammzellenforschung: Unterschiedliche Positionen der Religionsgemeinschaften

"Institut für Ethik und Recht in der Medizin" (IERM) und Bioethikkommission veranstalteten Tagung über Stammzellenforschung in Wien

„Institut für Ethik und Recht in der Medizin“ (IERM) und Bioethikkommission veranstalteten Tagung über Stammzellenforschung in Wien

Wien (epd Ö) – In der Beurteilung der Stammzellenforschung sind die ethischen Positionen der Religionsgemeinschaften unterschiedlich. Dies wurde während der Tagung über Stammzellenforschung in Wien deutlich, die gemeinsam vom „Institut für Ethik und Recht in der Medizin“ (IERM) und der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt ausgerichtet wurde.

Der Bonner evangelische Theologe Hartmut Kreß referierte über den aktuellen ethischen Diskurs zur Stammzellenforschung in der evangelischen Theologie. Eine eindeutige Position lasse sich laut Kreß aufgrund des „Pluralismus in der Ethik des Protestantismus“ nicht ausmachen. Insgesamt habe jedoch in den vergangenen Jahren ein „Lernprozess“ in der evangelischen Theologie stattgefunden, der zu einer Stärkung des Lagers der Befürworter embryonaler Stammzellenforschung geführt habe. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) habe einen „überraschenden Kurswechsel“ vorgenommen. Ursprünglich hatte die EKD das in Deutschland seit 2002 geltende entsprechende Gesetz abgelehnt, jetzt trete sie aber für Erleichterungen beim Import humaner embryonaler Stammzell-Linien ein, um „die Bedingungen für die Forschung in Deutschland zu verbessern“.

Auch Kreß sprach sich im Rahmen seines Vortrags für eine gestufte Schutzwürdigkeit des Embryos und damit für eine Förderung embryonaler Stammzellenforschung aus. Bisherige Begründungen für eine absolute Unantastbarkeit des Embryos hätten sich „inzwischen als brüchig erwiesen“, so Kreß. Für eine Förderung embryonaler Stammzellenforschung spreche nicht nur das „protestantische Freiheitsethos“, sondern ebenso das Recht des Menschen auf die Förderung neuer medizinischer und gesundheitsfördernder Therapien. Die Forschung müsse jedoch „unter öffentlicher Kontrolle“ und „transparent“ geschehen, so Kreß.

Über die Position der katholischen Ethik referierte die Wiener Moraltheologin Prof. Sigrid Müller. Dabei verteidigte sie die prinzipiell ablehnende Haltung der katholischen Kirche zur Forschung an embryonalen Stammzellen mit dem Hinweis auf die dem Embryo vom Moment der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an zukommende Menschenwürde. Aus dieser Würde folge zugleich der moralische Imperativ des Lebensschutzes, so Müller: „Embryonen zählen aus katholischer Sicht bereits zur Gattung Mensch und daher kommt ihnen ein umfassender Lebensschutz zu“. Außerdem folge aus der Menschenwürde zugleich die „Unterlassungspflicht“, d.h. die Pflicht, „den Embryo nicht zu Forschungszwecken zu instrumentalisieren“. Dies sei die „Grundposition“ der katholischen Ethik zur Stammzellenforschung, so Müller. Ethische Prinzipien dürften „nicht leichtfertig geopfert werden“, unterstrich die Moraltheologin. Eine eindeutige rechtliche Regelung in Österreich sei zwar wünschenswert, doch könne eine solche Regelung die ethischen Fragen „nicht aus der Welt schaffen“.

Auch Islam nicht einmütig

Dass auch der Islam keine einheitliche Lehrmeinung zur Frage der embryonalen Stammzellenforschung hat, legte Ilhan Ilkilic vom „Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin“ an der Universität Mainz dar. Der Koran trage bei dieser Fragestellung nur so weit, als er den Zeitpunkt der „Beseelung“ des ungeborenen Kindes als Beginn der absoluten Schutzwürdigkeit definiere. Eine genaue Zeitangabe fehle jedoch, so dass es unter den islamischen Rechtsschulen einen Streit über den Zeitpunkt der „Beseelung“ gebe (das Spektrum reiche dort vom 25. Tag nach der Zeugung bis zum 120. Tag). Diskutiert werde die Frage der Stammzellenforschung in der islamischen Theologie insbesondere im Rahmen der Auseinandersetzung um die ethische Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs, so Ilkilic. So werde in der islamischen Theologie eine Parallele zwischen der Tötung des Fötus beim Schwangerschaftsabbruch und der Tötung eines Embryos im Rahmen der Stammzellenentnahme gesehen. Ein prinzipielles Nein zur embryonalen Stammzellenforschung gebe es im Islam jedoch nicht. Derzeit plädiere laut Ilkilic eine Mehrheit der Theologen für eine partielle Freigabe der Forschung an bereits bestehenden Stammzell-Linien, eine weitere Herstellung von Embryonen zur industriellen Verwendung und Forschung werde jedoch abgelehnt.

In der philosophischen Ethik lassen sich laut dem Wiener Rechtsethiker und Mitarbeiter am IERM, Jürgen Wallner, derzeit drei Grundpositionen unterscheiden: eine Position, die im Embryo in erster Linie ein Objekt sieht, das wissenschaftlich frei verfügbar ist; eine Position, die den Personenstatus des Embryos betont; und schließlich eine Position, die dem Embryo zumindest eine Form von „Respekt“ zubilligt. Die meisten Diskussionen gebe es derzeit insbesondere unter den Vertretern der zweiten Position, sagte Wallner. Ein Argument sei etwa die Gattungszugehörigkeit: Aus der Tatsache der Zugehörigkeit des Embryos zur Gattung Mensch sind bereits die Schutzrechte abzuleiten. Es gebe aber auch das „Kontinuitätsargument“, das von einer Prozesshaftigkeit der Entwicklung menschlichen Lebens ausgeht, alle Termine, ab denen erst Schutzwürdigkeit vorliegen würde, wären demnach willkürlich. Das „Identitätsargument“ gehe davon aus, dass der Mensch nicht erst zum Menschen wird, sondern bereits als Embryo Mensch ist. Das „Potentialitätsargument“ besage, dass bereits im Embryo die weitere Entwicklung grundgelegt ist.

ISSN 2222-2464

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