25.01.2019

Sozialhilfe: Kein gemeinsamer Gerechtigkeitsbegriff

Podiumsdiskussion am Wiener Juridicum

Diskutierten am Wiener Juridicum: Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser, der Jurist Wolfgang Mazal, die Ökonomin Barbara Kolm, Moderator Benedikt Kommenda und der Jurist Ewald Wiederin. Foto: epd/Michael Windisch

Podiumsdiskussion am Wiener Juridicum

Wien (epdÖ) – Das Fehlen eines gemeinsamen Gerechtigkeitsbegriffs in der Gesellschaft erschwert den Konsens in der Debatte um die Neuregelung der Mindestsicherung. Das ging aus einer Podiumsdiskussion zur neuen Sozialhilfe am Montag, 21. Jänner, an der Universität Wien hervor. Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser forderte, den Blick auf Bedarfsgerechtigkeit zu lenken und als gerecht das zu bestimmen, „was man an materiellen und immateriellen Gütern unbedingt braucht, um ein menschenwürdiges Leben zu führen“. Wolfgang Mazal, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien, hielt dem entgegen, Bedarfsgerechtigkeit sei eine wichtige Kategorie, entscheidend sei aber, zu fragen, weshalb dieser Bedarf gegeben sei und ob nicht andere Akteure als der Staat zu dessen Befriedigung beitragen könnten. In eine ähnliche Kerbe schlug Barbara Kolm vom wirtschaftsliberalen Friedrich August von Hayek Instituts: „Wenn wir teilen á la St. Martin, dann hat vielleicht einer was davon, es geht aber darum, dass wir einen Mehrwert für alle generieren können.“ Er habe das Gefühl, „dass wir in unserer Demokratie heute nicht mehr vermitteln können, dass alle Menschen gleich sind“, meinte wiederum der Staats- und Verwaltungsrechtler Ewald Wiederin in der von der Tageszeitung „Die Presse“ veranstalteten und von Presse-Redakteur Benedikt Kommenda moderierten Diskussion.

Moser: „Zielt nicht mehr auf Sicherung des Lebensunterhalts“

„Die Ungleichheit ist am stärksten dort, wo allein nach Herkunft oder Nationalität unterschieden wird. Faktisch geht es darum, dass die Ausländerfamilien und Asylberechtigten am wenigsten bekommen sollen“, kritisierte Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser die neue Vorlage zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz. Dieser Entwurf frage nicht mehr, was der Staat mindestens zur Absicherung vor Armut tun müsse, so die evangelische Pfarrerin. Deshalb sei auch nicht mehr von Mindestsicherung, sondern von Sozialhilfe die Rede: „Die Sicherung des Lebensunterhalts ist kein Ziel mehr dieses Entwurfs“, dafür würden die Eingliederung in den Arbeitsmarkt und fremdenpolizeiliche Aspekte als Ziele genannt.

Mazal: „Sind wir alle gleich?“

Zu viele Probleme würden dem Staat umgehängt, monierte der Jurist Wolfgang Mazal. Auch in der Frage, wer für Armutssicherung zuständig sei, „haben wir uns angewöhnt zu sagen: der Staat.“ Mazal stellte zudem den Begriff der Gleichheit in Frage: „Sind wir uns einig, dass wir im Bedarf alle gleich sind? Ist der Bedarf des robusten jungen Mannes gleich wie der des 55-jährigen knapp nach dem ersten Herzinfarkt?“ Fraglich sei darüber hinaus der verwendete statistische Arbeitsbegriff: „Wann immer wir Menschen mit Geld zuschütten, verändert sich der statistische Armutswert nicht“, da die Armutsgrenze dadurch einfach nach oben verschoben werde. Dadurch sei der in der Diskussion gängige statistische Armutsbegriff – als armutsgefährdet gelten Menschen mit weniger als 60 Prozent des gesellschaftlichen Medianeinkommens – „weit davon entfernt, was sich Menschen unter Armut vorstellen.“

Wiederin: „Bedürfnis nach einer Zweiklassengesellschaft“

Die aktuelle Debatte zeige, „dass wir Gleichheit nicht mehr akzeptieren können, dass wir Differenzierungen brauchen“, beobachtete der Wiener Jurist Ewald Wiederin. Zwar sei der Gleichheitssatz ein österreichisches Staatsbürgerrecht, aber im Falle der Mindestsicherung könnten sich „noch nicht einmal die Vorarlberger mit den Niederösterreichern vergleichen, weil sie in die Länderkompetenz fällt“. Gerade beim Teilen zeige sich, wen wir als gleich akzeptierten und wen nicht: „Es gibt offenbar ein Bedürfnis nach einer Zweiklassengesellschaft in der Sozialhilfe, damit sich die Schicht der Globalisierungsverlierer damit trösten kann, dass es eine Schicht gibt, der es noch schlechter geht als ihr.“

Kolm: „Payroll des AMS finanzieren wir alle“

Die Ökonomin Barbara Kolm forderte eine Grundsatzentscheidung darüber, „was wir vom Staat erwarten und was für uns als eigenverantwortliche Menschen geregelt werden soll“. Es sei die Aufgabe der Gesellschaft, sich um Menschen in Notsituationen zu kümmern, aber nicht notwendigerweise Aufgabe des Staates. Denn: „Die Payroll des AMS finanziert nicht der Staat, sondern wir alle, die Steuerzahler.“ Es sei zudem schlimm, wenn Menschen, die arbeiten, mit ihren Einkommen kein Auslangen mehr fänden. Kolm plädierte dafür, Anreize zu setzen, die „Eigentum und Leistung fördern und jene, die sich nicht selbst helfen können, unterstützen.“

ISSN 2222-2464

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