06.12.2014

„Satt ist nicht genug“ – EFA lud zum „Frauenmahl“

Für eine gerechte Verteilung der Ressourcen

v.l.: EFA-Direktorin Barbara Heyse-Schaefer und Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, beim "Frauenmahl". Foto: Barbara Krobath

Für eine gerechte Verteilung der Ressourcen

Wien (epdÖ) – „Satt ist nicht genug“ – Unter das Motto der aktuellen „Brot für die Welt“-Kampagne stellte die Evangelische Frauenarbeit (EFA) ihr „Frauenmahl“ am Freitagabend, 5. Dezember, im Wiener Albert Schweitzer Haus. Nach der Premiere im Vorjahr nehme man mit dem „Gastmahl“ die alte Tradition der Tischreden wieder auf, erklärten Waltraut Kovacic und Barbara Heyse-Schaefer, die gemeinsam durch den Abend führten. Zwischen den Gängen des festlichen Mahls sprachen Expertinnen und Experten vor den rund 80 geladenen Gästen zum Thema Ernährungsssicherung in einer gerechteren Welt.

Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, würdigte in ihrer Tischrede das gesellschaftspolitische und besonders auch das entwicklungspolitische Engagement der Evangelischen Frauenarbeit, das sich im Einsatz für ein gerechtes Leben frei von Gewalt ausdrücke. Das Erleben körperlicher Gewalt verhindere auch Freiheit im Denken, meinte Lunacek. Gerade beim Thema Gewalt gegen Frauen dürften „Männer nicht schweigen“. Angesichts der immer stärkeren Unterschiede zwischen Arm und Reich und der gleichzeitigen Verschwendung von Ressourcen brauche es mehr Aufmerksamkeit im eigenen Lebensbereich, aber auch die entsprechende Politik, damit „ein gutes Leben für alle“ möglich werde. Denn „möglich ist es“, zeigte sich Lunacek überzeugt, oft fehle nur der politische Wille dazu.

„Es gibt genug Ressourcen“, unterstrich auch Günther Fischer, Wissenschaftler am IIASA, dem Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg. Vielmehr sei es eine Frage der gerechten Verteilung. Insgesamt seien derzeit 805 Millionen Menschen unterernährt. Von den Millenniumszielen, die absolute Zahl der Hungernden pro Land zu halbieren, sei man weit entfernt. Zwar gebe es Erfolge in Ost- und Südostasien, aber vor allem in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara habe sich die Situation verschlechtert. 1,3 Milliarden Hektar seien weltweit potentiell für den Anbau von Nahrungsmitteln nutzbar, diese Fläche verteile sich jedoch nur auf sieben Länder. Um die bis 2050 voraussichtlich neun Milliarden Menschen zu ernähren, brauche es nicht nur neues Kulturland, sondern vor allem auch eine intensivere und gerechtere Nutzung der Ressourcen. Risiken sieht der Experte durch den Klimawandel, hier wären „schnelle politische und praktische Maßnahmen“ nötig. Eine um 4 bis 6 Grad höhere Temperatur hätte gravierende Auswirkungen auf die weltweite Landwirtschaft, ebenso die zunehmenden Extremwettersituationen. Künftig brauche es mehr Gewicht auf nachhaltige Produktionsformen und eine Kombination von lokalen, nationalen und internationalen Maßnahmen. Vor allem dürften Ressourcen nicht Bedürftigen entzogen werden, warnte der Wissenschaftler.

Bereits als Wegweiser für eine nachhaltige und ressourcenschonende Ernährung verstehe sich auch das Menü des Gastmahls, erläuterte Barbara Heyse-Schaefer. So bestanden die einzelnen Gänge ausschließlich aus vegetarischen Speisen. Ein Beispiel für eine gelungene ertragreichere Nutzung knapper landwirtschaftlicher Flächen und damit verbunden auch für eine verbesserte Lebenssituation der Bewohner schilderte Jean Damascène Ndahimana. Seine Organisation in Ruanda hilft in über 50 Kooperativen Bäuerinnen und Bauern beim Anbau von gesunden Nahrungsmitteln, beim Verkauf landwirtschaftlicher Produkte ebenso wie in Bildungsfragen. Dieses Projekt wird seit mehreren Jahren von Brot für die Welt unterstützt und steht auch im Fokus der aktuellen Kampagne.

Von der „Verantwortung der Satten“ sprach Gerhild Herrgesell, Oberkirchenrätin für Kirchenentwicklung, in ihrer Tischrede. Es brauche nicht nur das Bewusstsein über ein konkretes Problem, „das Handeln ist noch wichtiger“. Die Themen Gerechtigkeit und Wahrung der Menschenwürde seien untrennbar mit der Frage nach nachhaltiger Ernährungssicherung verbunden: „Wenn es 2014 noch Menschen gibt, die kilometerweit gehen müssen, um zu Wasser zu kommen, braucht es unsere Unterstützung.“ Wichtig ist Herrgesell dabei eine „Begegnung auf Augenhöhe“. Die Oberkirchenrätin erinnerte in ihrer Rede an das biblische Gleichnis der Speisung der Fünftausend: „Viele Ressourcen sind da, sind bei uns da.“

Die Theologin und langjährige Mitarbeiterin im Weltkirchenrat Reinhild Traitler forderte beim Gastmahl ein „Genug“ im Sinne von „Schluss damit“ von Ausbeutung und Mangel, von einer Wirtschaftsweise, die die ohnehin Reichen fördere, von Steueroasen, Tagelöhnern oder der Illegalisierung von Menschen. Die biblischen Visionen begrenzten hingegen Zustände, „die Menschen bedrücken und niedrighalten“. Stattdessen gehe es um „maßvolle Visionen von einem guten Leben“. Dazu brauche es ausgleichende Gerechtigkeit, Solidarität und Maßhalten. Grenzenlose Belastungen ertrage die Erde nicht. Wie Herrgesell erinnerte auch Traitler daran, dass in den biblischen Geschichten um das Genügen das Teilen im Mittelpunkt stehe, letztlich „die Solidargemeinschaft der Menschen untereinander als Lebensmittel“. Traitler forderte einen politischen Diskurs und Entscheidungen über Begrenzungen des Reichtums ebenso wie praktische Projekte gegen Verschwendung und „überzeugende Symbole“ für einen maßvollen Lebensstil.

Über ihre Projekte für Obdachlose in Wien und ihre persönliche Motivation sprach beim Gastmahl Cecily Corti, die Begründerin der „Vinzi-Rast“-Notschlafstellen. Den Impuls für Cortis Einsatz gab der bekannte Vinzi-Dorf-Gründer, Pfarrer Wolfgang Pucher, der immer von der „bedingungslosen Akzeptanz“ und der „Sünde der Distanz“ gesprochen habe. Dieser Leitgedanke der „absichtslosen Zuwendung ohne Vorurteile“ präge auch die Arbeit der Vinzi-Einrichtungen in Wien, die Corti „gegen alle Unkenrufe“ auf die Beine stellen und ausschließlich privat finanzieren konnte. Heute arbeiten rund 140 Ehrenamtliche dort mit. „Ich glaube nicht an Systeme“, sagte Corti, „ich bin überzeugt, dass wir nur als Einzelne etwas ändern können.“ Jede/r Einzelne sei aufgerufen, „an der unfertigen Schöpfung mitzuwirken“.

ISSN 2222-2464

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