11.06.2015

Ringvorlesung: Bildung, Reformation und Globalisierung

Scheunpflug: "Die meisten evangelischen Schulen stehen in Afrika"

"Das Erbe der evangelischen Schulen zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt noch heute in Teilen Afrikas eine zentrale Rolle", erklärte die Bildungswissenschaftlerin Annette Scheunpflug bei ihrem Vortrag in Wien. (Foto: epdÖ/S.Janits)

Scheunpflug: „Die meisten evangelischen Schulen stehen in Afrika“


Wien (epdÖ) – Einen interessanten Einblick in das afrikanische Schulwesen der Geschichte und der Gegenwart gab die Erziehungswissenschaftlerin Annette Scheunpflug (Universität Bamberg) bei ihrem Vortrag „Bildung, Reformation und Globalisierung“ am 10. Juni in Wien. Dabei machte sie deutlich, dass Globalisierung keineswegs ein modernes Phänomen sei, sondern schon mit der Neuzeit beziehungsweise der Reformation begonnen habe.

Bereits das Christentum sei in seiner Anlage eine grenzüberschreitende Religion, so Scheunpflug bei ihrem Vortrag im Rahmen der Vorlesungsreihe „Bildung und Reformation“. „Das Christentum hat immer schon den Blick auf den ganzen Erdkreis, die Ökumene. Der zentrale Bericht, der dieses Faktum plastisch beschreibt, ist Pfingsten. Bei diesem Ereignis wird die Botschaft des Evangeliums in vielen Sprachen verständlich, es handelt sich also um die Gegengeschichte zum Turmbau von Babel“, erklärte die Expertin.

Im Zuge der Reformation sei auch die Idee der Universalisierung der Schule geboren worden. Luther forderte, dass jedes Kind – jeder Knabe und jedes Mädchen – lesen lernen sollte, um dann die Bibel selbständig lesen zu können. Ein Anliegen, das auch vom tschechischen Theologen und Pädagogen Johann Amos Comenius (1592-1670), einem Vordenker des grenzlosen Europas, vorangetrieben worden sei. „An der Erfindung der Schule als Massenphänomen hat die Reformation großen Anteil. Zwar gab es Schulen in allen Hochkulturen und an vielen Stellen, aber eben nicht für alle“, so Scheunpflug.

Der Stellenwert von Bildung im Protestantismus zeige sich auch in den Missionsschulen in den deutschen Kolonien in Ostafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In diesen Gebieten wurden zahlreiche evangelische Schulen errichtet. Die Rolle dieser Schulen im Kolonialismus sei nicht unumstritten und auch noch zu wenig erforscht. So müsse etwa noch aufgearbeitet werden, inwiefern und in welcher Art diese Schulen den Kolonialismus unterstützt hätten. Dennoch sei etwa spannend zu sehen, dass evangelische Schulen ganz im Gegensatz zu Schulen der Kolonialmächte sehr viel Wert auf Unterricht in der Muttersprache gelegt hätten. „Evangelische Schulen wollten, dass ihre Schülerinnen und Schüler die Bibel in ihrer Muttersprache lesen können. Sie haben sich dafür eingesetzt, dass die Bibel in die Landessprache übersetzt wird. Und ihnen wurde klar, dass ohne Muttersprache eine die Menschen erreichende Bildung nicht erreicht werden kann.“ Der Konflikt zwischen Muttersprache und Amtssprache zeige sich bis heute in vielen Ländern Afrikas, weil die Regierungsschulen sehr stark auf die jeweilige Amtssprache abzielen. Die Frage nach Bildung in der Muttersprache werde hingegen sehr stark diskutiert, weiß Scheunpflug.

„Das Erbe der evangelischen Schulen zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt noch heute eine zentrale Rolle“, resümiert die Bildungswissenschaftlerin. So habe etwa Ruanda, das Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts Teil von Deutsch-Ostafrika war, eine hundertprozentige Einschulungsrate. Von allen Schulen seien aber rund 70 Prozent in evangelischer und katholischer Trägerschaft. Ein ähnliches Bild zeige sich in der Demokratischen Republik Kongo. „Hier erkennt man den Zusammenhang von Reformation und Globalisierung besonders deutlich“, sagte Scheunpflug.

Heute stünde in vielen Ländern Afrikas das ökumenische Lernen im Vordergrund, etwa in Ruanda. „In Ruanda gibt es eine spezielle friedenspädagogische Arbeit an den Schulen. Hier wurde eine ganz eigene Didaktik entwickelt, um den Genozid zu verarbeiten, für mehr Frieden beizutragen und Körperstrafen aus der Schule zu verbannen. Wie effizient diese Form des Lernens ist, konnte mittlerweile empirisch bestätigt werden.“

Am Ende stellte Scheunpflug ein aktuelles Projekt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor. Bis 2017 sollen evangelische Schulen weltweit unter dem Motto „500 Schulen feiern 500 Jahre Reformation“ miteinander verbunden werden. „Bei den SchülerInnen und LehrerInnen gibt es bereits großes Erstaunen. ‚Google Maps‘ zeigt deutlich, dass die meisten evangelischen Schulen nicht in Mitteleuropa stehen, sondern in Afrika.“

Der Vortrag von Annette Scheunpflug war die letzte Vorlesung im Rahmen der Ringvorlesung „Reformation als Herausforderung für die Bildungslandschaft heute“, die von mehreren Fakultäten der Universität Wien, von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems sowie der Evangelischen Kirche in Österreich veranstaltet wurde.

ISSN 2222-2464

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