14.09.2018

Religionswissenschaftler Zander: „Freiheitsstress“ als Zeichen der Moderne

Tagung in Wien zu Moderne und Religion

Der radikal freie Mensch der Moderne sei zur Selbsterlösung verpflichtet, meint der in Fribourg lehrende Religionswissenschaftler Helmut Zander. Im Bild der von Ludwig Hevesi stammende Leitspruch auf der Wiener Secession. Foto: wikimedia/greymouser

Tagung in Wien zu Moderne und Religion

Wien (epdÖ) – „Freiheitsstress“ sei die Konsequenz einer Überhöhung des Subjekts in der Moderne: Wer keinen Gott mehr als erlösendes Gegenüber habe, der müsse sich zwangsläufig selbst erlösen.  Mit dieser These konfrontierte der Religionswissenschaftler Helmuth Zander (Fribourg) die TeilnehmerInnen einer Tagung zu den religiösen Wurzeln der Moderne, die von 13.-15. September, an der Wiener Evangelisch-Theologischen Fakultät stattgefundenhat. In seiner Keynote-Lecture am Eröffnungsabend im Wien Museum sah Zander in populären Begriffen wie „Selbstverwirklichung“ Verpuppungen des philosophisch-theologischen Begriffs der Selbsterlösung, der im 19. Jahrhundert als Antwort auf eine zum Herrschaftsinstrument gewordene christliche Gnadenlehre aufgekommen sei. Die Geschichte der Philosophie der Neuzeit könne als Versuch gelesen werden, so Zander, dem Menschen die Würde zurückzugeben, die ihm insbesondere durch die Determinationslehre des Kirchenvaters Augustinus (gest. 430 n. Chr.) genommen worden sei.  Theoretiker wie Rudolf Steiner (1861-1925) – unter anderem Erfinder der Waldorfschulen – hätten die radikale Trennung des Menschen von Gott nicht hinnehmen wollen, sondern unter dem Einfluss antiker Denker (Marc Aurel, Plotin) und buddhistischer Tradition den Menschen zum Teil eines allgemein Göttlichen gemacht: „Wenn der Mensch selbst göttlich ist, kann man von keinem Gott Erlösung erwarten, der Mensch muss sich selbst erlösen. Diese Freiheit bedeutet, für alles selbst verantwortlich zu sein.“ Eine Folge dieses radikalen Freiheitsdenkens sei auch der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommende Leitbegriff der Leistung, der auch heute noch im sozialpolitischen Diskurs vor allem von wirtschaftsliberalen Parteien herangezogen wird. Auch bestimmte Körpertechniken, die die Grenzen des Machbaren am menschlichen Leib verschieben, müssten in diesem Kontext verstanden werden. „Tod sind alle Götter und jetzt wollen wir, dass der Übermensch lebt“, zitierte Zander zur Illustration den Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900).

Systematischer Theologe Danz: Moderne als „Verlust der Einheit“

Den Begriff der Moderne und die besondere Stellung des österreichischen Protestantismus in ihr hatten bereits am Vormittag Christian Danz und Astrid Schweighofer (beide Wien) analysiert. Danz betonte dabei, dass eine Deutung der Moderne nur als Selbstbeschreibung von einem bestimmten Standpunkt in ihr passieren könne, also immer neben anderen Deutungen stehen müsse. Um 1800 sei die Moderne als eigenständige Epoche in Abgrenzung zur Antike verstanden worden, die sich durch Reflexion auszeichne. „Mit dieser ist eine Trennung und Entfremdung verbunden, die in einer Atomisierung von Kultur und Gesellschaft sowie in den modernen Staatstheorien identifiziert wird“, so Danz. Für die Theoretiker der Zeit sei diese Spaltung noch als überwindbar angesehen worden, was sich um 1900 änderte. Insbesondere der deutsche  Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) und der ungarische Philosoph Georg Lukács (1885-1971) hätten die Moderne „durch einen Verlust der Einheit charakterisiert“.

Kirchenhistorikerin Schweighofer: Protestantismus um 1900 als modern wahrgenommen

Die Kirchenhistorikerin Astrid Schweighofer sieht einen Grund für die massiven Ein- und Übertritte in die evangelischen Kirchen in Österreich um 1900 darin, dass „vor allem der städtische österreichische Protestantismus auch von außen als progressiv und modern wahrgenommen“ worden sei. Prominente KonvertitInnen wie der Sozialdemokrat Victor Adler, die Physikerin Lise Meitner oder der Komponist Arnold Schönberg böten dafür gute Beispiele. Diese progressive Strömung im Protestantismus hätte sich aber vor allem in den großen Städten Wien, Graz oder Salzburg herausgebildet und stand „in scharfem Gegensatz zum Traditionalismus der ländlichen Stadtgemeinden“. Schweighofer betonte zudem, dass „die Inanspruchnahme des Modernen Hand in Hand ging mit der Betonung von Deutschtum und zunehmend auch Antisemitismus“ in der antikatholischen und deutschnational orientierten Los-von-Rom-Bewegung.

Die Tagung „Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion“ dauert noch bis Samstag, 15. September.

ISSN 2222-2464

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