22.05.2015

Premiere der Europäischen Toleranzgespräche in Fresach

Bundespräsident Fischer: "Brauchen verbindliche Normen und Toleranz"

Bundespräsident Heinz Fischer eröffnete die Europäischen Toleranzgespräche in Fresach. Foto: Fotodienst/Gerhard Kampitsch

Bundespräsident Fischer: „Brauchen verbindliche Normen und Toleranz“

Fresach (epdÖ) – Bundespräsident Heinz Fischer hat am Freitag, 22. Mai, im Kärntner Bergort Fresach die Europäischen Toleranzgespräche eröffnet. Gastgeber der dreitägigen Veranstaltung, die heuer erstmals stattfindet, ist der „Denk.Raum.Fresach“, ein unabhängiger Verein für Toleranz und Integration in Europa. Zu den Gründern zählen der Europapolitiker Hannes Swoboda, der evangelische Superintendent der Diözese Kärnten/Osttirol Manfred Sauer und Superintendentialkuratorin Heli Thelesklaf. Auf der international besetzten Veranstaltung unter dem Motto „Wie weit geht Toleranz? Aufgaben für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“ wurden zentrale Themen der aktuellen sozialen und politischen Krise beleuchtet.

Superintendent Sauer konnte zur Eröffnung zahlreiche Ehrengäste begrüßen. Gekommen waren neben Bundespräsident Heinz Fischer auch der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser und Landtagspräsident Reinhart Rohr, der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker und der römisch-katholische Diözesanbischof Alois Schwarz, Superintendentialkuratorin Heli Thelesklaf, Oberkirchenrat Hans-Joachim Bodenhöfer, Diakonie-Rektor Hubert Stotter und Europaparlamentarier Eugen Freund.

„Eingedenk, dass es auch in unserer Geschichte schmerzliches, schuldhaftes Versagen und katastrophale Intoleranz gegeben hat, bemühen wir uns heute, im respektvollen Miteinander Ökumene zu leben und unseren Glauben als Quelle und Auftrag zur Toleranz zu begreifen“, sagte Superintendent Sauer. Von den Toleranzgesprächen erhofft sich der Superintendent neue Impulse für Politik und Gesellschaft. Toleranz dürfe nicht nur beschworen, sondern müsse in der Haltung spürbar werden, unterstrich Sauer.

Der Präsident des „Denk.Raum.Fresach“, Hannes Swoboda, dankte Sauer für seine Initiative und Schirmherrschaft. „Wir müssen immer wieder daran arbeiten, dass Europa ein Ort der Toleranz wird“, so der langjährige Europapolitiker. Im Dialog mit anderen dürfe nicht auf eigene Wertvorstellungen verzichtet werden, diese seien jedoch immer wieder in Frage zu stellen. Angesichts der islamistischen Gewalt warnte der Europapolitiker davor, Religionen „an denen zu messen, die sie für ihre extremistischen Ziele missbrauchen“. Um Flüchtlingstragödien wie jene im Mittelmeer zu verhindern, brauche es legale Wege nach Europa.

Ohne weltanschauliche Toleranz sei eine Demokratie und pluralistische Gesellschaft nicht möglich, zeigte sich Bundespräsident Heinz Fischer bei der Eröffnung überzeugt. Toleranz sei kein expliziter Bestandteil eines Normengebäudes und auch keine Schwäche, sondern „Lebensprinzip“, eine Haltung, die helfe, „das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Auffassungen abzufedern und das Zusammenleben der Menschen zu erleichtern“. Toleranz nehme Rücksicht „auf die Nächsten und Übernächsten“. Im Zusammenleben „brauchen wir verbindliche Normen und Toleranz“, betonte der Bundespräsident.

Landeshauptmann Peter Kaiser sieht in den Toleranzgesprächen, die künftig jährlich in dem traditionsreichen Kärntner Bergdorf stattfinden sollen, ein „ermutigendes Zeichen“, das „nach den Sünden der Vergangenheit“ einen positiven Blick auf Kärnten lenke. Nicht das Gefühl bestimme die Toleranz, sondern „das Verstehen muss da sein, die rationale Akzeptanz, dass Anderes anders sein darf, anders sein muss“. Toleranz sei untrennbar mit Freiheit und Demokratie verbunden, während Intoleranz Unfreiheit bedeute, erklärte der Landeshauptmann.

Eröffnet wurden die Toleranzgespräche mit einem Vortrag des Journalisten Ronald Barazon. Toleranz setze voraus, „dass ich mich auch selbst in Frage stelle“, sagte der bekannte Publizist und Moderator von Diskussionssendungen. Toleranz werde dann gelebt, „wenn man akzeptiert, dass der Andere eine Meinung hat, und man bereit ist, von ihm zu lernen“. Vor allem aber erfordere Toleranz „absolute Intoleranz gegenüber Intoleranz“. Dazu brauche es eine „wehrhafte Demokratie“ in einem funktionierenden Rechtsstaat. Diesen sieht Barazon im zusammenwachsenden Europa gefährdet. Seit dem Vertrag von Lissabon wirkten die Verordnungen der „Verwaltungsbehörde EU-Kommission“ europarechtlich stärker als die Richtlinien des europäischen Parlaments und der Nationalstaaten. „Die Gewaltentrennung wird gerade aufgehoben“, analysierte Barazon.

Bei den Toleranzgesprächen kommen Sozialwissenschafter ebenso wie Schriftsteller, Theologen und Ökonomen zu Wort, so u.a. der umstrittene deutsch-indische Autor Pravu Mazumdar, der über das Niemandsland der Kulturen spricht, oder der iranisch-stämmige Sama Maani, der angesichts der zunehmenden Verwirrung und Orientierungslosigkeit zur Respektverweigerung aufruft. Die Sozialanthropologin Christa Markom beleuchtet den alltäglichen Rassismus aus der Mitte, die Sozialwissenschafterin Claudia Brunner stellt den Begriff Toleranz als Privileg der Macht in Frage. Die Nahost-Expertin Karin Kneissl zeigt die Folgen verfehlter westlicher Politik auf. Die Wernberger Ordensschwester Maria-Andreas Weißbacher liefert Rezepte für das zukünftige Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Nationen. Höhepunkt der Gespräche, die unter der Patronanz des PEN-Club Austria und der Alpen-Adria-Universität stattfinden, ist die Verabschiedung der „Fresacher Erklärung zur Toleranz 2015“.

ISSN 2222-2464

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