01.06.2010

Perner: System des Schweigens und der strikten Hierarchie begünstigt Missbrauch

"Lange Nacht": Podiumsdiskussion über die strukturellen Ursachen der Missbrauchsfälle

„Lange Nacht“: Podiumsdiskussion über die strukturellen Ursachen der Missbrauchsfälle

Wien (epd Ö) – Auch das Thema Missbrauch wurde bei der „Langen Nacht der Kirchen“ nicht ausgespart. So widmete sich eine Diskussionsrunde in der Wiener Franziskanerkirche am Freitag, 28. Mai, dem Thema „Sexuelle, körperliche und emotionale Gewalt in der Kirche“. Der Journalist Dietmar Neuwirth („Die Presse“), die römisch-katholische Moraltheologin Sigrid Müller, der Abt des Schottenstifts, Johannes Jung, Psychotherapeutin Rotraud Perner und der evangelische Pfarrer Jürgen Öllinger, der als Kind im Stift Kremsmünster missbraucht wurde, gingen dabei der Frage nach den strukturellen Bedingungen für körperliche und sexuelle Gewalt in katholischen Schulen und Einrichtungen nach.

Dass ein „System des Schweigens und der strikten Hierarchie“ Missbrauch begünstige, unterstrich die Psychotherapeutin Rotraud Perner. Wenn eine „Männerbündelei“ Spielregeln vorgebe und in „sadistischer Lust an der Macht“ diese breche, könne man nicht erwarten, dass Opfer widersprechen. Vielmehr herrsche eine „absolute Hilflosigkeit“. Grundproblem sei die Machtfülle und der Mangel an Kontrolle von außen, konstatierte Perner.

Die Kinder in Kremsmünster seien zu seiner Zeit als Schüler dort den Patres in einem „in sich geschlossenen System völlig ausgeliefert“ gewesen, berichtete Jürgen Öllinger. Wie die Kirche mit schuldhaftem Verhalten umgehe, sei „ein großes Fragezeichen bis heute“, so der Villacher Pfarrer. Öllinger kritisierte das „Schweigen und Mauern“ in Kremsmünster. Gleichzeitig würdigte der Pfarrer die Bemühungen des Abtes, der ihm ein Gespräch mit den „Peinigern“ ermöglicht habe. Hier habe er die „Entwürdigung zurückgeben“ können.

Die Moraltheologin Sigrid Müller sieht als eine der Hauptursachen für die Missbrauchsfälle in der Römisch-katholischen Kirche die „Unfähigkeit, Sexualität positiv zu integrieren und zu gestalten“, stattdessen werde sie „tabuisiert“. Die Berichte von den Missbrauchsfällen „gehen ins Innerste“, befand Schottenabt Johannes Jung. Die Übergriffe seien „im Geheimen eines klösterlichen Nichtsehens“ abgelaufen. Dem widersprach Jürgen Öllinger: Einige Patres hätten in Kremsmünster von den Vorfällen gewusst. „Presse“-Journalist Dietmar Neuwirth wandte sich gegen den Mythos, die katholische Kirche wäre ein „Ort der Kinderschänder“: Nur 0,3 Prozent der Täter seien Priester. Dass es nicht um Quantität, sondern um die besondere Qualität ginge, warf Rotraud Perner ein: Der größte Schaden entstehe, wenn Missbrauch durch eine Person erfolge, „die eigentlich da ist um mein Gewissen zu fördern, um Gott zu dolmetschen“. Die Entwicklungen zeigten, dass „Schweigen nicht mehr geht“, sagte Neuwirth. Der Journalist würdigte hier das Engagement des Wiener Kardinals Christoph Schönborn, das auch international viel beachtet wurde. Aus der Causa Groer habe die katholische Kirche in den letzten Jahren nichts gelernt, befand der Journalist: „Wenn in Ei-senstadt etwa die eingerichtete Ombudsstelle als ‚Kommission für besondere Angelegenheiten‘ bezeichnet wurde, zeigt das, wie schwer man sich tat.“

ISSN 2222-2464

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