10.11.2004

Nicht nur kriminalpolitisch agieren

Studientag der Evangelischen Akademie Wien “Mehr Sicherheit durch weniger Haft”

Studientag der Evangelischen Akademie Wien “Mehr Sicherheit durch weniger Haft”

Wien (epd Ö) – “Es reicht nicht, nur kriminalpolitisch zu agieren, wenn wir die Probleme hinter den überfüllten Gefängnissen bearbeiten wollen”, sagte Dr. Arno Pilgram vom Institut für Kriminalsoziologie Wien in seinem Referat auf dem Studientag der Evangelischen Akademie Wien am heutigen Mittwoch. Thema des Studientages: “Mehr Sicherheit durch weniger Haft”. Pilgram betonte, dass es “gesellschaftliche Aktionen wie etwa diese Veranstaltung brauche, um nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Seit dem Jahr 2002 sei ein starker Anstieg der Gefangenenzahlen zu verzeichnen, “auf politischer Ebene wurde nur reagiert, mehr Haftplätze zu bauen”. Alternativen seien nicht gesehen worden, “die es aber sehr wohl gibt”. Kleinere Delikttäter dürften nicht „professionalisiert“ werden, wenn sie verhältnismäßig kleine Straftaten häufig wiederholen. Das habe auch bereits eine Arbeitsgruppe bei einer Enquete im Justizministerium gefordert. Auch im Suchtmittelbereich sei es “nicht sinnvoll”, die Prohibition, die das Gesetz vorsehe, in jedem Fall radikal bis zum Schluss durchzusetzen. Auch der Strafvollzug selbst sei flexibler zu gestalten. So gebe es “Lockerungsmaßnahmen, wie etwa Freigänge oder sozialkonstruktive Maßnahmen wie gemeinnützige Arbeit für die Gesellschaft.” Gute Erfahrungen seien in diesem Bereich bereits mit sozialen Institutionen gemacht worden.

Großen Spielraum der Haftvermeidung nutzen

Auch die Evangelische Akademie Wien ruft dazu auf, “den großen Spielraum der Haftvermeidung zu nutzen”. Die Folgen des vermehrten Einsperrens seien Überfüllung hinter Gittern bei gleichzeitigem Personalnotstand und Gefährdung von Programmen sozialer Integration. So entstehe Überbelegung von Gefangenengruppen, was zu Stress, Aggressionen und Kurzschlusshandlungen führe. Mehrfachen Handlungsbedarf sieht die Evangelische Akademie Wien im Hinblick auf strafrechtliche Entwicklungen. So fehle es an justizpolitischer Öffentlichkeitsarbeit und öffentlich ausgetragener Meinungsbildung zu einem modernen und humanen Strafrechtsgedanken. Ebenso fehle es an sinnvoller und adäquater Vernetzung verschiedenster Berufsgruppen, wenn es um die Gegenwart und Zukunft von Häftlingen geht.

Geist: Menschen ein grundsätzliches Vertrauen entgegenbringen

“Die Probleme im Strafvollzug sind wichtig und müssen in die Öffentlichkeit getragen werden”, sagte Dr. Matthias Geist, Gefängnisseelsorger in Wien gegenüber epd Ö. Hier sei auch der interdisziplinäre Prozess wichtig, “denn die Theologie trägt ein Menschenbild in die Öffentlichkeit und in die Justiz, die den Menschen ein grundlegendes Vertrauen entgegenbringt. Dies gilt auch für gescheiterte Menschen”. Es gehe darum, den Menschen, dem die Freiheit entzogen ist, “in der Haft und nach der Haft seelsorgerlich zu begleiten. Und das können nur wir”, betonte der Gefängnisseelsorger.

Sturm: Hoffentlich erreicht dieses Engagement hier die richtigen Menschen

“Ich begrüße diese Veranstaltung der Evangelischen Akademie und hoffe, dass die Kompetenz und das Engagement der hier versammelten Menschen auch die zuständigen Verantwortlichen in ihren Institutionen erreicht”, sagte Bischof Sturm im Rahmen des Studientages gegenüber epd Ö. Der Bischof zeigte sich “dankbar”, dass das Protestantengesetz es ermögliche, dass die Evangelischen Kirchen in Österreich die Zusage und die Möglichkeit erhalten, in Gefängnissen ihren Dienst an den Menschen und der Gesellschaft zu tun: “Hier pflegen wir den Umgang mit Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Auch Christus holte diese Menschen an seinen Tisch, stellte sie auf ihre Füße und in die Nähe Gottes, die alles verwandelt.”

Weitere Beiträge im Rahmen des Studientages, an dem über 100 Personen teilnahmen, kamen unter anderen vom Vizepräsidenten der Österreichischen Richtervereinigung, Dr. Wolfgang Aistleitner, oder Dr. Reinhard Eher von der forensischen Nachbetreuung. Auch Betroffene und Angehörige kamen in Referaten zu Wort. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Sozialexperten der Diakonie, Martin Schenk.

ISSN 2222-2464

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