23.01.2002

„Müssen uns der Geschichte stellen“

Ökumenischer Gottesdienst zum Tag des Judentums - Bischof Sturm: Kirchen müssen "allen Formen von Antisemitismus und Antijudaismus entgegentreten"

Ökumenischer Gottesdienst zum Tag des Judentums – Bischof Sturm: Kirchen müssen „allen Formen von Antisemitismus und Antijudaismus entgegentreten“

Wien, 23. Jänner 2002 (epd Ö) „Frieden und Versöhnung mit der Geschichte gibt es nur, wenn wir uns ihr stellen“, betonte der evangelisch-lutherische Bischof Herwig Sturm am Donnerstagabend, 17. Jänner, in der Wiener altkatholischen Kirche St. Salvator bei der Feier des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich zum „Tag des Judentums“. Sturm erinnerte an die Feststellung in der neuen „Charta Oecumenica“, dass die Kirchen eine „einzigartige Gemeinschaft“ mit dem Volk Israel verbinde, mit dem Gott einen ewigen Bund geschlossen habe. In der „Charta Oecumenica“ hätten sich die christlichen Kirchen ausdrücklich verpflichtet, „allen Formen von Antisemitismus und Antijudaismus entgegenzutreten“ und auf allen Ebenen den Dialog mit den Juden zu suchen und zu intensivieren.

Die Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Oberin Christine Gleixner, betonte, es sei notwendig, sich bewusst zu machen, wie tief die Christen im Judentum verwurzelt sind. Auch beim bevorstehenden Weltgebetstag für den Frieden in Assisi gehe es um ein „Zeichen des Friedens und der Versöhnung“.

Gedenken beim Mahnmal für die Opfer der Shoah auf dem Judenplatz

Vor dem Gottesdienst in St. Salvator hatten sich zahlreiche Christen auf dem Judenplatz versammelt, um vor dem Mahnmal für die Opfer der Shoah der 65.000 Österreicher jüdischer Herkunft zu gedenken, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Der altkatholische Bischof Bernhard Heitz erinnerte daran, dass vor 60 Jahren – am 20. Jänner 1942 – bei der sogenannten Wannsee-Konferenz – von den NS-Funktionären die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen worden war. Bischof Heitz verwies auf die Gedenktafeln und Gedenkstätten im Einzugsbereich des Judenplatzes, der bis zum Pogrom von 1420/21 Zentrum des jüdischen Lebens in Wien war: Die mittelalterliche Tafel am Jordan-Haus, die für die Schuld der Christen an den Juden stehe, die 1998 auf Initiative von Kardinal Christoph Schönborn angebrachte Tafel, auf der diese Schuld bekannt werde, die Erinnerungstafel am Misrachi-Haus für 83 österreichische „Gerechte“, die unter Lebensgefahr während der NS-Zeit jüdischen Menschen geholfen hatten, der Irene-Harrand-Hof, der an die katholische Journalistin der Zwischenkriegszeit erinnert, die sich dem Rassenwahn entgegenstellt hatte.

Der griechisch-orthodoxe Metropolit Michael Staikos sagte beim Entzünden von Gedenkkerzen für die Opfer von 15 Konzentrationslagern, es gehe um die „Gesinnung der gegenseitigen Achtung“. Mit dem Anzünden der Gedenkkerzen werde versucht, „Licht und Freude, Leben und Wärme“ zu bringen. Die Christen müssten heute eingestehen, dass sie lange nicht fähig waren, die „gemeinsamen Wurzeln“ mit den Juden zu finden.

Der Leiter des „Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands“ (DÖW), Wolfgang Neugebauer, erinnerte beim ökumenischen Gottesdienst in St. Salvator daran, dass die Verantwortlichen für die Shoah „keine Christen oder höchstens Taufscheinchristen“ waren. Es sei aber auch wahr, dass der „jahrhundertelange christliche Antisemitismus den Boden für den Rassenantisemitismus aufbereitet“ habe. Das DÖW habe in den letzten zehn Jahren die Namen von über 62.000 jüdischen Österreichern erfasst, die Opfer der Shoah wurden. Dabei sei es darum gegangen, die Opfer aus der Anonymität herauszuheben und sie als Menschen zu zeigen, die „Mitbewohner auf den Straßen Wiens“ waren. Die Darstellung der Fakten sei „unverzichtbar, wenn wir mit der Vergangenheit ins Reine kommen wollen“.

Graz: Erstmals Tag des Judentums begangen

Erstmals seit seiner Einführung vor drei Jahren wurde heuer auch in Graz der Tag des Judentums in Form eines ökumenischen Gottesdienstes in der evangelischen Heilandskirche feierlich begangen. In seiner Predigt betonte der römisch-katholische Liturgiewissenschaftler Univ. Prof. Dr. Philipp Harnoncourt die Bedeutung des Bundes Gottes mit seinem Volk Israel, der bis heute ungebrochen sei. Die Erlösung durch Jesus Christus sei heilsgeschichtlich keine Zäsur, sondern eine weitere Station auf dem gleichen Weg. Der Gottesdienst wurde mitgestaltet durch Superintendent Mag. Hermann Miklas, den Judaisten Dr. Hans Rapp sowie die Ortspfarrerin, Mag. Christa Schrauf.

ISSN 2222-2464

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