21.12.2020

Moser: „Coronakrise ist Stresstest für Solidarität und Sozialstaat“

Diakonie-Direktorin plädiert für weiter gefassten Begriff von Wirtschaft

Die Krise dürfe nicht zu einer „Konkurrenz der Opfer“ führen, warnt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Wichtiger sei zu erkennen, dass alle gemeinsam in der Krise stecken. Foto: pixabay

Diakonie-Direktorin plädiert für weiter gefassten Begriff von Wirtschaft

Wien (epdÖ) – Einen Stresstest für die Solidarität und den Sozialstaat sieht Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser in der gegenwärtigen Coronakrise. Viele Branchen und gesellschaftliche Gruppierungen müssten betonen, „wie schlecht es ihnen geht“, sagte Moser in einem Interview für die Ö1-Wirtschaftssendung „Saldo“ am Freitag, 18. Dezember. Daraus entwickle sich eine Art „Konkurrenz der Opfer“. Wichtig sei jedoch zu sehen, „dass alle gemeinsam Opfer sind und in der Krise stecken“. Diese sei wie eine Lupe: Soziale Probleme, die bereits zuvor da waren, würden nun deutlicher.

In dem Gespräch mit Ö1-Redakteur Volker Obermayr plädierte die evangelische Pfarrerin zudem für einen veränderten Blick auf Wirtschaft. Sie erinnerte an eine Studie des wirtschaftsliberalen Thinktanks „Agenda Austria“, die zu dem Ergebnis gekommen war, dass im ersten Lockdown durch Homeschooling 121 Millionen Arbeitsstunden „der produktiven Arbeit“ entzogen worden seien, was 7,2 Milliarden Euro Wertschöpfung gekostet hätte: „Das ist typisch dafür, wie wir Wirtschaft betrachten. Kinder bekommen und Kinder erziehen ist doch auch Wirtschaft“, so Moser. Künftig gelte es vermehrt, auf gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu achten und das Problem des Gender Pay Gaps anzugehen. Ein wichtiger Punkt sei zudem, dass die Jobs, die sich in der Krise als „systemrelevant“ erwiesen hätten, und die vorrangig von Frauen ausgeübt werden, besser bezahlt würden – etwa in der Pflege: „Produktion wird höher bewertet als Reproduktion, da müssen wir ansetzen.“

Die angekündigte Pflegereform dürfe nicht nur ein „Pflaster“ sein, sondern es müsse zu einer strukturellen Reform kommen, die vor allem bei Pflegeangeboten zum Tragen komme. Hier gebe es gegenwärtig primär die Wahl zwischen stationärer Pflege rund um die Uhr, und mobiler Pflege, die oft an den realen Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigehe. Es brauche ein breiteres Spektrum an Angeboten, etwa Tagesbetreuung oder stundenweise Sozialbetreuung zuhause. Mehr Unterstützung bräuchten auch die pflegenden Angehörigen – mehr als eine Million Menschen in Österreich – von denen selbst jeder und jede zweite bereits über 60 ist.

Der Rettung von Unternehmen in der Krise steht Moser positiv gegenüber, da dadurch auch Arbeitsplätze gesichert würden. Angesichts der Ausgaben wäre es aber gefährlich und ethisch problematisch, parallel den Sozialstaat auszuhöhlen. Dazu gehörten nicht nur Geldleistungen, sondern etwa auch ein funktionierendes Gesundheits- oder Bildungssystem. „Was nicht passieren darf ist, dass man bei Menschen, die es ohnedies schon schwierig haben, die in prekären Verhältnissen leben, ihre Arbeit verlieren, zu sparen anfängt. Wenn es um die Krisenunterstützung dieser Menschen geht haben wir eher Bittstellerfonds eingerichtet und weniger sozialstaatliche Lösungen.“

ISSN 2222-2464

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