05.04.2020

Morgen ist heute schon gestern

Julia Schnizlein über Gottvertrauen und Zuversicht

"Niemand von uns weiß, was die Zukunft bringt. Sie kommt doch ohnehin immer anders als man denkt." Foto: piqsels

Julia Schnizlein über Gottvertrauen und Zuversicht

Was passiert da gerade mit uns? Mit unserer Gesellschaft? Mit unserem Leben? Es ist nicht leicht, die Ungewissheit dieser Tage auszuhalten. Den Kontrollverlust. Die Angst vor der dem, was kommt und ist. Vieles lässt sich noch gar nicht einordnen. Man kann es nur aushalten.

„Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es vorwärts“, hat der dänische Philosoph und Theologe Soeren Kierkegaard einst gesagt. Wie wahr das ist, müssen wir dieser Tage schmerzhaft erleben. Vielen Menschen macht das Angst. Sie würden lieber erst verstehen, dann leben. Ich auch.

Immer wenn ich mich dann so ertappe, beim Planen oder beim Sorgen machen, dann erinnere ich mich an die uralte chinesische Geschichte vom alten Mann und seinem Pferd. Die geht so:

Es war einmal ein armer alter Mann, der lebte mit seinem Sohn und einem Pferd in einem kleinen Dorf. Das Pferd war so schön, dass alle ihn beneideten und ihm viel Geld dafür boten. Aber der Mann wollte nicht verkaufen. Eines Tages war das Pferd verschwunden und die Leute aus dem Dorf sagten: „Du dummer Alter. Hättest du das Pferd verkauft, wärst du jetzt sorgenfrei. Nun hast du nichts mehr – welch Unglück!“ Der Alte sagte nur „Wer weiß, ob es ein Unglück ist.“

Bald darauf kam das Tier zurück und es brachte zwölf prächtige Wildpferde mit aus den Wäldern. Und die Leute riefen: „Was für ein Geschenk – welch Glück!“ Aber der Alte meinte nur: „Wer weiß, ob es ein Glück ist.“

Der Sohn begann, die Pferde zuzureiten. Dabei stürzte er so unglücklich, dass seine Beine für immer verkrüppelt waren. Die Menschen kamen, um das Unglück zu betrauern. Doch der Alte meinte nur: „Wer weiß, ob es ein Unglück ist.“

Wenig später zog ein furchtbarer Krieg ins Land. Alle jungen Männer wurden eingezogen, viele von ihnen fielen. Nur der lahme Sohn des Alten nicht…

Niemand von uns weiß, was die Zukunft bringt. Sie kommt doch ohnehin immer anders als man denkt. Und selbst die Gegenwart haben wir nur in einem geringen Ausmaß in unserer Hand. Was wir aber in der Hand haben, ist unsere Reaktion auf das, was geschieht. Wir können versuchen, die Dinge mit Gelassenheit zu nehmen. Mit Gottvertrauen und Zuversicht. Im Wissen, dass alles vorübergeht. Denn heute ist morgen schon gestern.

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ISSN 2222-2464

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