20.04.2015

Mitri Raheb: Für Ziel des Friedens „Undenkbares denken“

Palästinensischer Theologe und evangelischer Pfarrer aus Bethlehem las in Wien aus seinem neuen Buch

Nicht in toter Architektur, sondern nur im Umgang mit den Menschen kann Gott wirklich erfahren werden, zeigt sich Raheb überzeugt (im Bild: Blick über Bethlehem. Foto: Deror avi/Wikimedia)

Palästinensischer Theologe und evangelischer Pfarrer aus Bethlehem las in Wien aus seinem neuen Buch

Wien (epdÖ) – Das Volk von Palästina müsse lernen, das Undenkbare zu denken, um Frieden zu schaffen. Das sagte der palästinensische Theologe und evangelisch-lutherische Pfarrer der Weihnachtskirche in Bethlehem, Mitri Raheb, am Freitagabend, 17. April, im Wiener Albert Schweitzer Haus. Raheb las aus seinem neuen Buch mit dem Titel „Glaube unter imperialer Macht: Eine palästinensische Theologie der Hoffnung“. Veranstaltet wurde die Lesung von der Evangelischen Akademie in Kooperation mit Brot für die Welt, Pax Christi und weiteren christlichen Organisationen.

Raheb verglich die Geschichte des palästinensischen Volks, das die meiste Zeit seiner Existenz unter Besatzung verbracht hat, mit der Geschichte von Jesus und seinen Mitmenschen, wie sie in der Bibel erzählt wird. „Palästinenser machen heute die gleichen Erfahrungen wie die Menschen in der Bibel, da sie genauso von einer externen imperialen Macht unterdrückt werden“, so Raheb. Das palästinensische Volk müsse angesichts der mangelnden internationalen Unterstützung endlich selbst das Heft des Handelns in die Hand nehmen. „Hoffnung ist nicht das, was wir sehen, sondern das, was wir tun“, deswegen müsse man endlich den Mut fassen, selbst aktiv zu werden. Das Volk von Palästina brauche regionale Visionen, um im euromediterranen Raum seine Rolle zu finden. Dies klinge zwar realitätsfern, sei aber der einzige Weg.

Raheb, der in Bethlehem gegenüber jenem Platz aufwuchs, an dem laut Bibel Jesus geboren wurde, versuchte eine differenzierte Sicht auf die Situation in seinem Heimatland zu geben. „Leuten, die mich aufgrund meiner Herkunft beneiden, sage ich, dass Palästina kein Wohnort ist, um den man beneidet werden sollte.“ Vielmehr sei Palästina als besetztes Land vollkommen der Willkür seiner israelischen Besatzer ausgeliefert. Das Leben in solch einem Land sei mühsam, die Menschen leiden unter der Situation und verlieren mit der Zeit immer mehr die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Er selbst habe sein ganzes Leben unter Besatzung verbracht, was für ihn unter anderem ein Grund dafür gewesen sei, dieses Buch zu schreiben.

Angesicht der Situation im Land und der fehlenden Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft fühlten sich die Menschen in Palästina zunehmend machtlos. In diesem Zusammenhang sei die Frage „Wo bist du, Gott?“ durchaus legitim. Dabei stelle Gott im Besonderen die Allmacht der Besetzer in Frage, denn keine Besatzungsmacht konnte sich dauerhaft halten, aber Gott sei immer da, erklärte Raheb. Außerdem sei es anscheinend Gottes Plan gewesen, Palästina ins Zentrum zu stellen. „Wer würde Städte wie Jerusalem oder Bethlehem kennen, wenn sie nicht wichtige Schauplätze der Bibel wären?“ Nur deswegen reisten Jahr für Jahr Millionen von Menschen in das Heilige Land. Dabei würden viele Pilger den wahren Wert einer solchen Reise gar nicht erkennen: „Die Menschen latschen von Steinhaufen zu Steinhaufen in der Hoffnung, hier Gott zu finden, dabei ist Gott in seinem Volk! Für ein Gespräch mit den Menschen vor Ort nehmen sich jedoch die wenigsten Pilger Zeit.“

Mitri Raheb wurde 1962 in Bethlehem geboren und studierte evangelische Theologie am Missionsseminar Hermannsburg und an der Philipps-Universität Marburg. Dort erwarb er den Titel „Doktor der Theologie“ mit einer kirchenhistorischen Arbeit über die evangelisch-lutherische Kirche in Palästina. Raheb wurde 2008 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet und gehört zudem zu den Unterzeichnern des Kairos-Palästina-Dokuments von 2009. Dieses stellt einen Aufruf der palästinensischen Christen dar, der die Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten zum Thema hat.

ISSN 2222-2464

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Schlagworte

Theologie | Israel

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